Alkohol schlimmer als Heroin - sagt britischer Expertenrat

05.11.2010

Ein Expertenrat - unter der Leitung von Professor David Nutt vom Imperial College London - hat 20 psychoaktive Substanzen auf ihre Gefährlichkeit hin bewertet. Die Liste der schädlichsten Substanzen wird nicht - wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre -von illegalen Drogen wie Heroin oder Crack angeführt, sondern von Alkohol.

Zwei weit aufgerissene Augen, die durch einen Glasboden starren

Bild: Fiebke / photocase.com

Bereits im Jahre 2007 veröffentlichte David Nutt zusammen mit seinem Forschungsteam eine Rangliste, in der psychoaktive Substanzen auf ihre Schädlichkeit hin bewertet wurden. Dabei wurden neun Kriterien angelegt, in denen sowohl die körperlichen und sozialen Schäden als auch das Abhängigkeitspotential berücksichtigt wurden. Ein Expertenrat kam auf Grundlage dieser Kriterien zu der Feststellung, dass Heroin und Kokain am schädlichsten zu bewerten sind. Andere illegale Drogen wie Cannabis und LSD wurden hingegen als weniger schädlich eingestuft als die legalen Substanzen Alkohol und Tabak. Daraufhin wurde in Großbritannien eine rege Diskussion über die Schädlichkeit von Drogen und deren rechtliche Einstufung in Gang gebracht. So wurde unter anderem in Frage gestellt, ob die Bewertungskriterien tatsächlich ausreichen, um die Schädlichkeit von Drogen hinreichend beurteilen zu können.

Komplexeres Bewertungssystem in neuer Studie

Zusammen mit den Wissenschaftlern Leslie King und Lawrence Phillips führte Professor Nutt daher eine neue Studie mit einem komplexeren Bewertungsverfahren durch. In einem ersten Schritt entwickelte das Team zusammen mit dem „Advisory Council on the Misuse of Drugs“ (ACMD), das die britische Regierung in Fragen zu psychoaktive Substanzen berät, einen 16 Punkte umfassenden Kriterienkatalog. Darin kommen auch die ursprünglichen Kriterien vor. Allerdings wurde nun zusätzlich unterschieden zwischen den Schäden für die Konsumierenden selbst sowie für andere Personen. Letztere resultieren beispielsweise aus den Schäden, die durch Drogenkriminalität entstehen oder durch die ökonomischen Kosten, die beispielsweise durch das Gesundheitssystem zu leisten sind oder aufgrund von ausgefallen Arbeitstagen resultieren.

Ein unabhängiger britischer Expertenrat - das „Independent Scientific Committee on Drugs“ hat schließlich 20 Substanzen auf der Grundlage des Kriterienkatalogs bewertet, wobei ein Punktesystem von 0 bis 100 verwendet wurde. Zusätzlich wurden Gewichtungen eingeführt, um die Bedeutung der Kriterien zu präzisieren. Dieses Bewertungsverfahren, dass als „Multicriteria decision analysis“ (MCDA) bezeichnet wird, wurde nach Angaben der Autoren auch zu anderen komplexen Themen eingesetzt, wie beispielsweise zur Frage der Entsorgung radioaktiver Abfälle.

Heroin am schädlichsten für Konsumierende

Im Ergebnis kommt der Expertenrat wie auch schon in der ersten Studie zu dem Schluss, dass Heroin besonders schädlich ist für die Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn jedoch alle Kriterien zusammengefasst werden, also Schäden für Konsumierende und Schäden für andere, rangiert Alkohol mit 72 Punkten an erster Stelle. Mit Abstand folgen Heroin (55 Punkte) und Crack (54 Punkte). Cannabis, der in Deutschland rechtlich gleichgesetzt wird mit Heroin, liegt mit 20 Punkten auf der Gefährlichkeitsskala nur im Mittelfeld.

Schlussfolgerungen der Autoren

In der im Fachmagazin The Lancet veröffentlichten Studie merken die Autoren daher kritisch an, dass ihre auf Expertenurteilen basierende Rangliste nur einen geringen Zusammenhang mit der offiziellen rechtlichen Klassifikation aufweise. Legal erhältlicher Alkohol weise beispielsweise eine achtfach höhere Schädlichkeit auf als Ecstasy (9 Punkte), das in Großbritannien immerhin in Klasse B (mittelgefährlich) im „Misuse of Drugs Act“ eingestuft wird. Nutt und seine Team fordern daher, dass die auf rationalen Erwägungen basierende Rangliste der Schädlichkeit stärker bei der rechtlichen Einstufung berücksichtigt werden müsse. Insbesondere aber legt das Expertenvotum nahe, dass es gezielte Strategien brauche, um die schädlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums einzudämmen.

Ein Verbot von Alkohol gehe den Wissenschaftler aber zu weit. Leslie King, einer der Autoren der Studie und Berater der europäischen Drogenbehörde EMCDDA, warnt sogar davor. „Alkohol ist zu sehr in unserer Kultur verwurzelt und wird sich nicht einfach verbieten lassen.“ Ein Verbot sei daher kein Ausweg. King empfiehlt den Ländern vielmehr, gezielt diejenigen Personen mit problematischem Konsum ins Visier zu nehmen - und nicht die Mehrheit der Leute, die es bei einem oder zwei Bier bewenden lassen. Die Regierungen sollten zudem die Preise für Alkohol anheben und mehr Aufklärungsprogramme starten.

Kritik von der NHS

In einem Online-Artikel des zur britischen Regierung gehörenden „National Health Service“ (NHS) wird hingegen kritisch angemerkt, dass es nicht verwunderlich sei, wenn Alkohol die höchste Gesamtschädlichkeit aufweise, da Alkohol im Gegensatz zu Heroin oder Crack weit verbreitet ist. Ein stärkerer Einfluss auf die Gesellschaft sei daher naheliegend. Zudem sei nicht auszuschließen, dass ein anders zusammengesetztes Expertengremium zu anderen Schlüssen komme, da die Urteile letztlich auf subjektive Einschätzungen basieren würden.

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