Bedeutung von Cannabis als Einstiegsdroge überschätzt

22.10.2010

Die Theorie von der „Einstiegsdroge“ Cannabis als eine Ursache für den Übergang in den Konsum anderer „harter“ Drogen wie Heroin oder Kokain wurde schon vor längerer Zeit zu Gunsten einer multidimensionalen Sichtweise verworfen. Man geht vielmehr davon aus, dass viele Faktoren den Konsum von „harten“ Drogen begünstigen. Doch aktuelle Studien haben die Diskussion teils wieder neu entfacht. Ein Forschungsteams aus New Hampshire in den USA hat daher im Rahmen einer Längsschnittstudie die so genannte „Gateway-Theorie“ überprüft und kommt dabei zu dem Schluss, dass der Einfluss von Cannabis in früheren Studien oftmals überschätzt wurde.

Statistisch lässt sich belegen, dass dem Konsum von „harten“ Drogen wie Kokain oder Heroin meist der Konsum von Cannabis vorausgeht. Aber bedeutet dies auch umgekehrt, dass wer kifft automatisch auch zu stärkeren Drogen greift, Cannabis also gewissermaßen die Tür öffnet hin zum Konsum anderer Drogen? Zumindest hat sich aus dieser Betrachtungsweise die so genannte „Gateway-Theorie“ entwickelt (engl. Tür, Einstieg).

Die US-Wissenschaftlerin Karen Van Gundy und ihr Kollege Cesar Rebellon zweifeln diesen eindimensionalen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang jedoch an. Im Rahmen ihrer Studie sollte deshalb untersucht werden, ob es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen frühem Cannabiskonsum und späterem Konsum bzw. Missbrauch anderer illegaler Drogen gibt und wenn ja, ob dieser Einfluss unabhängig ist von anderen ungünstigen Stressfaktoren wie z. B. eine Scheidung der Eltern oder Probleme in der Schule.

Für ihre Untersuchung konnte das Forschungsteam auf die Angaben von 1.286 Schülerinnen und Schüler von insgesamt 48 Schulen im Regierungsbezirk Miami-Dade in den USA zurückgreifen. Die Schüler wurden insgesamt zu vier verschiedenen Zeitpunkten während und nach ihrer Schulzeit befragt. Zum Zeitpunkt der letzten Befragung waren sie zwischen 18 bis 23 Jahre alt.

Tatsächlich belegen die erhobenen Längsschnittdaten, dass jugendlicher Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit für späteren Konsum anderer illegaler Drogen erhöht. Das Forschungsteam stellt aber fest, dass dieser Zusammenhang nicht per se existiert, sondern abhängig ist von mehreren Bedingungen. So wird die Entwicklung eines missbräuchlichen Drogenkonsums flankierend beeinflusst durch kritische Lebensereignisse und andere Stress erzeugenden Erfahrungen im Teenageralter. Damit sich aus dem frühen Cannabiskonsum später ein Drogenproblem entwickelt, müssen also noch andere belastende Lebensbedingungen hinzukommen.

Andererseits konnten Van Gundy und Rebellon nachweisen, dass die Befragten trotz frühem Einstieg in den Konsum von Cannabis keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen späteren Missbrauch von Drogen aufwiesen, wenn sie als junge Erwachsene einen festen Job hatten. Günstige soziale Bedingungen wiegen also etwaige negative Effekte des Cannabiskonsums wieder auf. Zudem konnte das Forschungsteam das Alter als wichtigen Faktor benennen. Demnach sei der „Gateway-Effekt“ nicht mehr nachweisbar sobald die Betroffenen über 21 Jahre alt waren.

Zwar zeige sich durchaus ein leichter Zusammenhang zwischen frühem Cannabiskonsum und dem Konsum weiterer Drogen, erläutern Van Gundy und Rebellon in ihrem Fachartikel, allerdings habe der „Gateway-Effekt“ eine eher kurzfristige Wirkung, die sich auf das Jugendalter beschränkt. Die jungen Menschen würden aus dem ungünstigen Einfluss des frühen Cannabiskonsums gewissermaßen „herauswachsen“. Diese Entwicklung zeige sich unabhängig davon, welche Erfahrungen die jungen Erwachsenen im Teenageralter hatten. Auch der Bildungsstand oder die familiäre Situation hatten kaum einen Effekt mehr, sobald die Personen das 21. Lebensjahr erreichten.

Verantwortlich für diesen Alterseffekt seien, nach Auffassung von Van Gundy und Rebellon, vor allem die sich ändernden Rollenbilder der Befragten. Insbesondere am Einfluss der Berufstätigkeit auf den Verlauf der „Konsumkarriere“ werde deutlich, wie mit dem Rollenwechsel sich auch der Konsum verändere. Das Autorenteam kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass der Gateway-Effekt ein komplexer Prozess sei, der insbesondere durch den sozialen Kontext, in dem jungen Menschen sich befinden, bedingt wird.

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