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Kiffen und soziale Ängstlichkeit

März 2009

Leicht verschwommenes Bild eines Cannabisblatts

Bild: www.pixelio.de / manwalk

Es gibt vermutlich viele Gründe, warum Menschen Cannabis konsumieren. Für die meisten Konsumierenden stehen sicherlich die als positiv erlebten Wirkungen des Cannabisrauschs im Vordergrund. Dahinter können sich aber auch andere Motive verbergen. Vor allem dann, wenn bereits ein problematischer Konsum vorliegt. So hat ein US-amerikanisches Forschungsteam herausgefunden, dass die soziale Ängstlichkeit - auch soziale Phobie genannt - in Zusammenhang steht mit problematischem Cannabiskonsum. Der Konsum werde demnach von sozial ängstlichen Personen zur Bewältigung von Problemen benutzt, fördere diese aber gleichzeitig.

Angst ist eine lebenswichtige Reaktion des Menschen auf Gefahrensituationen. Wenn es aber zu einer unangemessenen oder dauerhaften Angstreaktion kommt, spricht man von einer Angsterkrankung oder Angststörung. Diese kann zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag der Betroffenen führen. Menschen mit Agoraphobie („Platzangst“) beispielsweise meiden Menschenansammlungen in Warteschlangen, Bussen oder öffentlichen Plätzen und verlassen im schlimmsten Falle kaum noch die eigene Wohnung.

Angststörungen in der Bevölkerung

Angststörungen sind weit verbreitet in der Bevölkerung, wobei Frauen häufiger betroffen sind. In Deutschland leiden etwa 20 Prozent aller Frauen und 9 der Männer unter einer Angststörung. Am häufigsten sind Ängste, die sich auf bestimmte Dinge oder Handlungen beziehen, wie beispielsweise die Angst vor dem Fliegen oder vor Tieren (Spinnen, Hunde etc.). An der sozialen Phobie leiden nach letzten Erhebungen in Deutschland 2,7 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer. Auch die eine oder die andere prominente Person leidet unter Angststörungen. So soll die US-amerikanische Schauspielerin Kim Basinger unter Panikattacken und sozialer Phobie leiden. Die soziale Phobie der Schauspielerin sei so stark ausgeprägt, dass sie bei der Dankesrede der Oscarverleihung kein einziges Wort herausgebracht haben soll.

Angst vor der Reaktion anderer

Menschen, die unter sozialer Phobie leiden, würden genau solche Situationen meiden, in denen sie vor anderen sprechen oder an geselligen Veranstaltungen teilnehmen müssen. Alleine schon die Erwartungshaltung vor sozialen Situationen kann Angst auslösen. Denn die soziale Phobie ist genau genommen die Angst vor möglichen kritischen Reaktionen anderer Personen, weil sie befürchten, sich ungeschickt oder peinlich zu benehmen. Die Angst kann sich in derartigen Situationen bis zu einer Panikattacke steigern.

Zusammenhang mit Cannabiskonsum

Meist tritt die soziale Phobie erstmals im Jugendalter auf. Etwa in dieser Zeit liegt auch das durchschnittliche Alter für den Erstkonsum von Cannabis. Studien aus den USA konnten zeigen, dass 29 Prozent aller Personen, die an sozialer Phobie leiden, einen problematischen Cannabiskonsum entwickeln. In der amerikanischen Allgemeinbevölkerung trifft problematischer Cannabiskonsum hingegen nur auf 4,2 Prozent zu.

Angesichts der offenkundig erhöhten Verbreitung von Cannabiskonsum bei Personen mit sozialer Phobie stellt sich die Frage, ob die Angst vor sozialen Situationen womöglich eine Ursache für das Kiffen ist. Cannabis hat ja auch eine entspannende Wirkung. Denkbar ist aber auch, dass Ängste erst durch den Cannabiskonsum entstehen. So ist schließlich bekannt, dass es bei Konsumierenden im Rausch zu Panikattacken kommen kann. Dann wäre die Angst eher Folge des Kiffens.

Um diese Fragen zu untersuchen hat ein Forschungsteam um Dr. Julia Buckner von der Florida State University in den USA eine Längsschnittstudie durchgeführt, die sich über einen Zeitraum von 14 Jahren erstreckte. An der ersten Untersuchung nahmen 1.709 Schülerinnen und Schüler mit einem Durchschnittsalter von 16,6 Jahren teil. Zum Zeitpunkt der letzten Nachuntersuchung nahmen noch 816 Personen teil, die nun im Schnitt 30 Jahre alt waren. Um weitere mögliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen wurden Risikofaktoren wie depressive Probleme, andere Angststörungen oder Verhaltensauffälligkeiten in die statistische Analyse mit einbezogen.

Kiffen folgt der Angst

Die Ergebnisse weisen eindeutig darauf hin, dass sich problematischer Cannabiskonsum in der zeitlichen Abfolge erst nach den ersten Anzeichen der sozialen Phobie entwickelt und signifikant damit zusammenhängt. Soziale Ängstlichkeit ist demnach ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung problematischen Cannabiskonsums. Die Psychologieprofessorin Julia Buckner und ihr Team konnten zudem nachweisen, dass von den Angststörungen tatsächlich nur die soziale Ängstlichkeit mit problematischem Cannabiskonsum in Zusammenhang steht. Das bedeutet, es gibt eine sehr spezifische Verbindung zwischen dem Kiffen und der Angst vor sozialen Situationen. Panikattacken sind zwar als Folge des Kiffens bekannt, wer aber ohnehin darunter leidet, würde den Konsum von psychoaktiven Substanzen tendenziell eher meiden. Personen, die unter der so genannten generalisierten Angststörung leiden, sind ebenfalls nicht stärker gefährdet, einen problematischen Cannabiskonsum zu entwickeln, als Gesunde. Da die Cannabiswirkung selber Angst auslösen kann, würden Betroffene eher die Finger davon lassen.

Folgeprobleme

Die Forschungsgruppe ist in einer weiteren Studie zudem der Frage nachgegangen, ob die Häufigkeit des Cannabiskonsums mit dem Ausmaß sozialer Ängstlichkeit und den Folgeproblemen in Zusammenhang steht. Zur Klärung der Forschungsfrage wurden 159 Studierende im Alter zwischen 18 und 26 Jahren befragt. Die Studierenden wurden im Rahmen eines Psychologie-Seminars zur Teilnahme gebeten. Alle hatten zumindest einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Etwa 60 Prozent gaben an, regelmäßig zu konsumieren.

Die Ergebnisse konnten entgegen den Erwartungen keinen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der sozialen Phobie und der Konsumhäufigkeit feststellen. Angstsymptome sind also bei Personen, die viel kiffen, nicht stärker verbreitet als bei denen, die nur hin und wieder zum Joint greifen. Vielmehr zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der sozialen Phobie und dem Ausmaß an Folgeproblemen, die von den Befragten auf das Kiffen zurückgeführt wurden. Zu den Problemen zählen beispielsweise Fehlzeiten in der Schule oder in der Universität, Finanzschwierigkeiten oder Probleme mit dem Partner bzw. der Partnerin.

Falsches Bewältigungsverhalten

Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen der sozialen Phobie und problematischem Cannabiskonsum erklären? Und warum stehen nicht die Konsumhäufigkeit, wohl aber konsumbezogene Probleme mit der sozialen Angst in Zusammenhang? Die Autorengruppe der Florida State University erläutert, dass bei sozial ängstlichen Personen die Motivation für das Kiffen stärker dadurch geprägt ist, unangenehme Gefühle zu „bewältigen“. Der aus dem englischen stammende Fachbegriff „Coping“ beschreibt dieses Verhalten, das auch vom Alkoholtrinken her bekannt ist. Ängstliche Personen benutzen die entspannende Wirkung von Cannabis, um ihre Angst vor sozialen Situationen zu mildern. Dies könne jedoch wiederum zur Folge haben, dass sie soziale Situationen meiden, aus Angst, sie könnten sich im berauschten Zustand nicht angemessen verhalten. Denn die Angst vor der Kritik anderer Personen ist schließlich Ausdruck der Sozialphobie. Durch das Vermeidungsverhalten ergeben sich allerdings Folgeprobleme wie Streitigkeiten mit der Familie oder dem Freundeskreis.

Hinzu komme, so schreibt das Autorenteam, dass die sozial Ängstlichen wegen des Kiffens vermutlich keine anderen Coping-Strategien zur Bewältigung ihrer Angstsymptome entwickeln, was wiederum stärker zu Problemen mit dem sozialen Umfeld führt.

Fazit

Personen, die unter sozialen Ängsten leiden und Cannabis konsumieren, sind besonders gefährdet, einen problematischen Konsum bis hin zur Abhängigkeit zu entwickeln. Die Studienergebnisse der Forschungsgruppe um Julia Buckner zeigen einen weiteren Aspekt auf, der insbesondere für jene Personen von Bedeutung ist, die ihren Cannabiskonsum reduzieren wollen. Denn wenn bislang das Kiffen (auch) dadurch motiviert war, Angstsymptome zu mildern, könnten genau diese zutage treten, sollte der Konsum eingeschränkt oder eingestellt werden. Wird der Cannabiskonsum zur „Selbst-Behandlung“ der Ängste aufrechterhalten, würde dies allerdings Folgeprobleme verstärken. Wirkungsvoller ist es, den Cannabiskonsum zu reduzieren oder einzustellen und gleichzeitig alternative Coping-Strategien gegen soziale Ängste zu entwickeln. Hierfür ist es allerdings empfehlenswert, die fachkundige Unterstützung im Rahmen einer Beratung oder einer Therapie in Anspruch zu nehmen.

 


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