Warum können Menschen abhängig werden?

24.04.2024

Abhängigkeiten sind in der Regel mit negativen Folgen verbunden. Wie ist es möglich, dass sich Suchtverhalten im Laufe der Evolution trotzdem entwickelt hat? Ein Übersichtsartikel liefert mögliche Erklärungen.

Bild: fontoknak / iStock.com

Essen, soziale Beziehungen und Sex lösen normalerweise gute Gefühle in uns aus. Das ist wichtig, denn ohne diese Grundbedürfnisse hätten unsere Vorfahren nicht überleben können. Die Natur hat es so eingerichtet, dass lebensnotwendige Aktivitäten angenehme Gefühle hervorrufen. Doch warum erzeugen Substanzen wie Alkohol oder Amphetamine ähnliche Gefühle? Und warum hat die Evolution nichts hervorgebracht, was uns vor der Entwicklung einer Abhängigkeit schützt? Diesen Fragen ging ein Schweizer Forschungsteam um Studienleiter Adam Hunt nach. Dabei ging es weniger um die Frage, wie Menschen süchtig werden, sondern vielmehr um das Warum.

Evolutionäre Vorteile durch die Vorliebe einzelner Substanzen

Fest steht: Substanzen aktivieren das Belohnungssystem. Wie daraus im Gehirn eine Sucht entsteht, erklärt das Video „Wie entsteht Sucht im Gehirn?“ auf YouTube. Doch warum? Genau geklärt ist das noch nicht. Angenommen wird, dass die Hintergründe je nach Droge unterschiedlich sind.

Eine Erklärung, warum Alkohol das Belohnungssystem aktiviert, ist beispielsweise die „Drunken Monkey“-Hypothese". Diese besagt, dass einige Tiere, darunter Affen, die Fähigkeit entwickelt haben, aus vergorenen Früchten Alkohol als Energiequelle zu nutzen. Fermentierte Früchte sind in der Regel auch reich an Zucker und damit an Energie. In Zeiten der Nahrungsknappheit könnte diese Vorliebe ein evolutionärer Vorteil gewesen sein.

Nikotin aus Tabak und der Wirkstoff THC aus der Cannabispflanze könnten aus evolutionärer Perspektive medizinische Vorteile gehabt haben, beispielsweise den Schutz vor Wurmbefall. Alkohol, Nikotin und Cannabis könnten auch eine wichtige Rolle in sozialen Ritualen und spirituellen Praktiken gespielt und den Zusammenhalt von Gruppen gefördert haben. Stimulierende pflanzliche Wirkstoffe werden nach Aussagen von Hunt und seinem Team seit Jahrtausenden zur Leistungssteigerung eingesetzt. Der Konsum dieser Substanzen könnte daher in der damaligen Welt verschiedene Überlebensvorteile geboten haben.

Natürliches Sättigungsgefühl fehlt

Doch die Substanzen, die unseren Vorfahren zur Verfügung standen, waren wahrscheinlich nur begrenzt verfügbar und bei weitem nicht so konzentriert wie heute. Beispielsweise haben Menschen vermutlich erst im 12. Jahrhundert angefangen, Alkohol zu destillieren. Dies könnte eine mögliche Erklärung sein, warum sich im Laufe der Evolution kein Gegenmechanismus, also eine Art natürliche Sättigung für Drogen, entwickelt hat.

Wären Substanzen wie Alkohol oder Drogen früher so konzentriert und leicht verfügbar gewesen wie heute, hätten die negativen Auswirkungen möglicherweise zu evolutionären Anpassungen geführt. Gene, die den Menschen maßvoll konsumieren lassen, wären dann ein Überlebensvorteil gewesen.

Ob diese Annahmen zutreffen, lässt sich mit der aktuellen Studienlage nicht beantworten. Auch die genauen Zusammenhänge zwischen evolutionären Anpassungen und Suchtverhalten seien um einiges komplexer und noch nicht vollständig erforscht, wie die Autoren des Artikels betonen.

 

Quelle:

Hunt, A., Merola, G. P., Carpenter, T., & Jaeggi, A. V. (2024). Evolutionary perspectives on Substance and Behavioural Addictions: distinct and shared pathways to understanding, prediction and prevention. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 105603. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2024.105603


Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.