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Hirnveränderungen durch frühen Einstieg in das Kiffen

April 2012

Den ersten Joint rauchen Jugendliche in Deutschland statistisch betrachtet mit 16,7 Jahre. Da es sich um einen Mittelwert handelt, sind viele Jugendliche vermutlich erst 15 Jahre oder noch jünger, wenn sie ihre ersten Erfahrungen mit Cannabis machen. Neue Erkenntnisse der Hirnforschung deuten jedoch darauf hin, dass besonders der frühe Einstieg mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Möglicherweise wird das Gehirn in einer empfindlichen Entwicklungsphase dauerhaft durch das Kiffen geprägt. Was genau passiert dabei im Gehirn? Und mit welchen Folgen haben Jugendliche zu rechnen?

Computergenerierte halbtransparente Darstellung eine Kopfes, durch den das Gehirn zu sehen ist. Darüber eine Zackenkurve wie von einem EEG.

Bild: GuidoVrola / istockphoto.com

„Die Seuche Cannabis“ titelte das Magazin Der Spiegel 2004 in seiner 27. Ausgabe. Jugendliche würden „immer früher einsteigen und sich mit Haschisch und Marihuana jahrelang zudröhnen“, hieß es im dem Artikel „Ein Joint für die große Pause“. Tatsächlich hatte die Verbreitung von Cannabis seit den 1990er Jahren bis 2004 zugenommen. Die jüngste Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung macht jedoch deutlich, dass der Trend gerade bei den jüngeren Jugendlichen mittlerweile stetig nach unten verläuft. Hatten 2004 noch 18,2 Prozent der männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren Erfahrung mit Cannabis, waren es 2011 nur noch 8,4 Prozent.

Entgegen der medial verbreiteten Meinung kommt die BZgA-Studie zu dem Schluss, dass sich das Einstiegsalter in den letzten zwanzig Jahren zu keinem Zeitpunkt signifikant geändert habe. Also alles halb so wild? Entwarnung wäre sicher fehl am Platze, denn weiterhin fangen viele Jugendliche schon früh an zu kiffen. Die meisten belassen es zwar beim Experimentieren oder stellen den Konsum nach kurzer Zeit wieder ein, ein kleiner Teil von ihnen kifft allerdings regelmäßig und riskiert nachhaltige gesundheitliche Folgen.

Jugendliche ticken anders

Nicht nur äußerlich befinden sich Teenager in einer wichtigen Umbruchzeit. Auch ihr Gehirn macht in der Pubertät eine entscheidende Umbauphase durch. Nach einer Studie am Max-Planck-Institut für Hirnforschung wird das Gehirn vor allem zwischen 15 und 17 Jahren radikal renoviert. Hirnstrommessungen mittel Elektroenzephalogramm (EEG) ergaben, dass sich die Hirnaktivität in diesem Altersbereich sowohl von Erwachsenen als auch von jüngeren Jugendlichen deutlich unterscheidet. Das Gehirn scheint sich völlig neu zu organisieren, mit einer vorübergehenden Phase der Destabilisierung. Was passiert hier?

Aus anderen Studien ist bekannt, dass sich Nervenbahnen in der so genannten weißen Substanz des Gehirns in der Pubertät erst noch ausbilden. In der weißen Substanz befinden sind gewissermaßen die „Verbindungskabel“ zwischen den Nervenzellen der Großhirnrinde, die auch als graue Substanz bezeichnet wird. Verschaltungen, die in den frühen Lebensphasen angelegt werden, prägen das Gehirn womöglich ein Leben lang.

Bei diesem Umbau spielt das so genannte Endocannabinoid-System eine wichtige Rolle. Endocannabinoide sind körpereigene Substanzen, die an denselben Rezeptoren im Gehirn andocken, wie pflanzliche Cannabinoide, zu denen auch das bekannte delta-9-THC zu zählen ist. Unser Gehirn hat also seine eigenen Cannabinoide. Allerdings nur so viel wie es zur Reifung benötigt. Wenn ein Jugendlicher kifft, wird das Gehirn jedoch regelrecht mit Cannabinoiden geflutet. Die Forschung hat aufzeigen können, dass dies nicht ohne Folgen bleibt.

Suboptimale Organisation

Hinweise auf eine möglicherweise gestörte Hirnentwicklung liefert eine Studie der Universität Köln. Eine Arbeitsgruppe um Studienleiter Jörg Daumann hat Cannabiskonsumierende für ihre Untersuchung in zwei Gruppen aufgeteilt: Personen, die vor dem 16. Lebensjahr mit dem Cannabiskonsum begonnen haben und solche, die erst mit 17 Jahren oder später eingestiegen sind. Während die Probandinnen und Probanden Tests absolvieren mussten, die vor allem das Arbeitsgedächtnis fordern, schaute das Forschungsteam ihnen gewissermaßen beim Denken zu. Sie maßen die Hirnaktivität mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie.

Die Auswertung der Hirnaktivitätsmuster ergab, dass bei der Gruppe der Früheinsteiger bestimmte Areale des Gehirns deutlich stärker aktiviert waren als bei Personen, die erst mit 17 Jahren oder später erstmals Cannabis konsumiert hatten. Das Forschungsteam schließt daraus, dass die stärkere Aktivierung auf eine suboptimale Organisation bestimmter Hirnareale bei Cannabiskonsumierenden zurückgeht.

Bekannt ist, dass das Gehirn von Erwachsenen bei bestimmten Aufgaben weniger aktiv ist als bei Jugendlichen. Das Gehirn Erwachsener arbeitet für gewöhnlich effektiver, benötigt also für die gleichen Aufgaben weniger Energie. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob die Früheinsteiger nach einer längeren Abstinenzphase wieder normale Aktivitätsmuster aufweisen.

Strukturelle Veränderungen

Ebenfalls noch nicht endgültig, aber dennoch beunruhigend sind die 2009 veröffentlichten Ergebnisse eines US-amerikanischen Forschungsteams um Studienleiterin Manzar Ashtari. Die aus dem Iran stammende Radiologin verwendet eine spezielle Technik bei Erforschung von kleinsten Hirnstrukturen, die so genannte Diffusions-Tensor-Bildgebung. Das ist eine Variante der Magnetresonanztomographie, bei der die Bewegungen von Wassermolekülen im Gehirn Aufschluss über die Struktur einzelner Nervenbahnen geben.

Mit Hilfe dieses Verfahrens haben Ashtari und ihr Team die Struktur der weißen Substanz bei einer Gruppe von 14 Jugendlichen mit starkem Cannabiskonsum untersucht. Zum Vergleich wurde eine Gruppe gleichaltriger, aber abstinenter Kontrollpersonen herangezogen. Die Jugendlichen der Cannabisgruppe hatten im Schnitt mit 13 Jahren angefangen zu kiffen und erfüllten die Kriterien einer Cannabisabhängigkeit.

Den Ergebnissen zufolge wiesen bestimmte Bereiche der weißen Substanz strukturelle Veränderungen bei den Cannabiskonsumenten auf. So war ein wichtiger Reifungsprozess, die so genannte Myelinisierung, in bestimmten Regionen nicht oder nur unzureichend fortgeschritten. Bei der Myelinisierung entsteht eine Art Isolierung um die Nervenbahnen, die das Nervensignal elektrisch weiterleiten. Ähnlich einem schlecht isoliertem Stromkabel kann es ohne eine vollständige Myelinscheide zu Störungen kommen bei der Impulsweiterleitung. Ob es sich bei dem Befund um eine verlangsamte Entwicklung handelt oder es sogar zu einem Stillstand gekommen ist, lässt sich noch nicht sagen. Befunde aus der Tierforschung deuten jedoch darauf hin, dass Entwicklungsdefizite im Bereich des Gehirns auch im Erwachsenenalter fortbestehen.

Kleiner Hippocampus

Die italienische Forscherin Tiziana Rubino und ihr Team konnten 2009 in einem Experiment mit Ratten nachweisen, dass der Cannabiswirkstoff THC bei Jungtieren zu signifikanten Veränderungen im Hippocampus führt. Diese Veränderungen waren auch noch im Erwachsenenalter vorhanden. Die Ratten bekamen im Jugendalter hohe Dosen THC verabreicht. Anschließend wurden die Gehirne der Tiere seziert. Dabei zeigte sich, dass der Hippocampus bei den Ratten, die THC bekommen hatten, eine geringere Nervendichte aufwies als bei den Tieren, die kein THC bekamen. Die Nerven hatten zudem kürzere Dendriten ausgebildet, waren also weniger gut mit anderen Nerven vernetzt.

Bleibt die Frage, ob sich die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen lassen, zumal in Tierexperimenten oftmals hohe Wirkstoffdosen verabreicht werden. Erneut war es die Forscherin Manzar Ashtari, die mit ihrer Arbeitsgruppe Hinweise auf mögliche Hirnschäden gefunden und 2011 veröffentlicht hat. Bei 14 männlichen Cannabiskonsumenten wies das Team nach, dass der Hippocampus auch nach siebenmonatiger Abstinenz signifikant kleiner ist, als bei vergleichbaren Männern, die nie gekifft haben.

Die Ergebnisse unterstützen somit die Hypothese, dass das Jugendalter eine sensible Phase für die Hirnentwicklung darstellt und Cannabis diese Entwicklung negativ beeinflussen kann. Da die untersuchten Cannabiskonsumenten zum Zeitpunkt der Studie seit durchschnittlich mehr als einem halben Jahr ihren Konsum eingestellt hatten, gehen Ashtari und ihr Team davon aus, dass diese Schädigung dauerhaft ist.

Gedächtnis leidet

Doch das Gehirn ist sehr anpassungsfähig und kann Defizite womöglich durch die Aktivierung anderer Bereich ausgleichen. Kognitive Einbußen sind nicht zwangsläufig die Folge. Studien mit erwachsenen Cannabiskonsumierenden kamen in diesem Zusammenhang bislang zu keinen eindeutigen Ergebnissen. In einer 2001 veröffentlichten Untersuchung konnten Harrison Pope und sein Team zeigen, dass sich die kognitiven Leistungen auch nach jahrelangem Kiffen spätestens nach einem Monat Abstinenz wieder auf einem normalen Niveau bewegen. In einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2003 kommt ein Forschungsteam ebenfalls zu dem Schluss, dass sich kaum Hinweise auf dauerhafte Beeinträchtigungen der Hirnleistungen zeigen, wenn Konsumierende dem Joint nur lang genug abschwören. In den Studien wurde allerdings fast ausschließlich Erwachsene untersucht.

Was für Erwachsene gilt, muss aber nicht automatisch auch auf Jugendliche zutreffen. Vielmehr verdichten sich die Hinweise sowohl aus tierexperimentellen Studien als auch aus Untersuchungen mit Menschen, dass der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum nicht nur zu schlechteren kognitiven Leistungen führt, sondern dass diese Defizite auch nach Abstinenz nie wieder ganz verschwinden.

Beispielsweise hat die US-amerikanische Forscherin Krista Medina 16- bis 18-jährige Jugendliche, die seit durchschnittlich drei Jahren regelmäßig kifften, nach einer einmonatigen Abstinenzphase untersucht. Anders als in der Pope-Studie ließen sich nach diesem Zeitraum noch signifikante Defizite in der Aufmerksamkeit und dem Gedächtnis nachweisen. Die absoluten Leistungsunterschiede zwischen den Konsumierenden und den altersgleichen abstinenten Jugendlichen seien zwar nur gering gewesen. Die Autorinnen und Autoren der Studie meinen jedoch dazu: „Bereits leichte kognitive Probleme können zu negativen Konsequenzen in der Schule oder im Beruf führen.“ Womöglich führt dies häufiger zu Frustrationen, die sich wiederum ungünstig auf den weiteren Lebenslauf auswirken.

Fazit

Die Erforschung des Cannabiskonsums und seine Folgen für Früheinsteiger sind noch lange nicht abgeschlossen. Doch vieles deutet jetzt schon darauf hin, dass sich kiffende Jugendliche im Vergleich zu konsumierenden Erwachsenen einem höheren gesundheitlichen Risiko aussetzen. Die Hirnforschung unterstreicht dies, indem sie aufzeigt, dass Cannabis strukturelle Veränderungen im jugendlichen Gehirn verursachen kann. In welchem Maße sich dies im Alltag für den einzelnen bemerkbar macht, hängt auch von der Intensität des Konsums ab. Genaue Grenzen ab welcher Konsumintensität mit Hirnveränderungen zu rechnen ist, lassen sich jedoch nicht ableiten.

Quellen:


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