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Sport hilft beim Entzug

Februar 2022

Wer aufhören möchte zu kiffen, zu rauchen oder von anderen Drogen wegkommen will, sollte Sport machen. Studien belegen, dass körperliche Ertüchtigungen nicht nur fit machen, sondern auch beim Entzug von einer Drogensucht helfen.

Bild: BartekSzewczyk / istockphoto.com

„Es lebe der Sport. Er ist gesund und macht uns hoat“, sang einst der österreichische Liedermacher Rainhard Fendrich. Recht hat er. Körperliche Ertüchtigungen halten uns fit und heben die Stimmung. Die Wissenschaft hat zudem herausgefunden: Sport hilft beim Entzug und reduziert das Risiko für einen Rückfall.

Ablenkung und Stressreduktion durch Sport

Die positive Wirkung sportlicher Betätigung nutzen auch viele Teilnehmende des Beratungsprogramms Quit the Shit. „Vor allem Sport hat mir geholfen, meinen Stress zu reduzieren“, hat ein ehemaliger User in einem Erfahrungsbericht geschrieben. Viele andere User berichten Ähnliches. Sport habe ihnen geholfen, mit Entzugssymptomen fertig zu werden und sich vom Kiffen abzulenken.

Insbesondere Ablenkung scheint ein wichtiger Aspekt beim Entzug zu sein. Wer viel gekifft hat, hat auch viel Zeit damit verbracht, bekifft zu sein und sich vom Rausch zu erholen. Auf Cannabis zu verzichten bedeutet, plötzlich viel mehr Zeit nüchtern aushalten zu müssen. Zeit, die nun irgendwie mit Aktivitäten gefüllt werden will, damit die alten Gewohnheiten nicht doch wieder die Oberhand gewinnen. Sport kann in dieser Situation helfen, wie dieser ehemalige User von Quit the Shit berichtet: „Man muss seine Sucht durch andere Beschäftigungen ersetzen. Bei mir ist das sehr viel Sport, das erzeugt ebenfalls Glückshormone!“ Wieso hilft Sport eigentlich?

Die Wissenschaft kann noch nicht vollständig erklären, warum und wie Sport dabei hilft, von Drogen wegzukommen. Klar ist aber, dass das Belohnungssystem beteiligt ist. Denn das Belohnungssystem im Gehirn spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer Drogenabhängigkeit.

Drogen aktivieren das Belohnungssystem

Als Belohnungssystem wird ein Regelkreislauf bezeichnet, der verschiedene Hirnregionen umfasst und im Zusammenspiel unser Verhalten steuert. So lösen bestimmte Nahrungsmittel wie süße Früchte, aber auch Körperkontakt und Sexualität, Wohlbefinden in uns aus, weil das Belohnungssystem aktiv wird. Diese Dinge oder Aktivitäten werden als primäre Verstärker bezeichnet. Die Vorliebe für primäre Verstärker ist dem Menschen und den meisten Säugetieren angeboren. Denn in der Evolution des Menschen war die Hinwendung zu den primären Verstärkern wie beispielsweise energiereicher Nahrung ein entscheidender Überlebensvorteil der eigenen Art. Wir finden Süßes lecker, weil es in grauer Vorzeit - ohne Supermarkt um die Ecke - vorteilhaft war, hochkalorische Nahrungsmittel zu verspeisen.

Ein wichtiger Bestandteil des Belohnungssystems ist der Neurotransmitter Dopamin. Dopamin wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn eine Belohnung überraschend kommt oder wenn Reize auftreten, die eine Belohnung anzeigen. Dopamin ist somit nicht so sehr an den positiven Gefühlen während des Konsums der Belohnung beteiligt. Vielmehr erzeugt Dopamin die Vorfreude auf eine Belohnung und die mit der Erwartung einhergehenden positiven Gefühle.

Neben den primären Verstärkern aktivieren Substanzen wie Alkohol, Kokain und andere Drogen ebenfalls das Belohnungssystem. Im Vergleich zu den primären Verstärkern können Drogen aber eine besonders starke Freisetzung von Dopamin auslösen. Während primäre Verstärker die Dopaminkonzentration um bis zu 100 Prozent erhöhen können, lassen Drogen wie Kokain den Dopamin-Level um bis zu 1000 Prozent in die Höhe schnellen.

Durch wiederholten Drogenkonsum finden allerdings neurobiologische Anpassungsprozesse statt. Sowohl die Dopaminkonzentration als auch die entsprechenden Rezeptoren passen sich an den Drogenkonsum an. Die Folge: Die Wirkung lässt nach. Es entwickelt sich eine Toleranz gegenüber der Droge. Die Dosis muss gesteigert werden, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen. Wird der Drogenkonsum eingestellt, kommt es zum Entzug. Bei Abstinenz von der Droge kann daher ein starker Drang ausgelöst werden, wieder konsumieren zu wollen. Das Fachwort lautet Craving.

Sport reguliert Dopaminhaushalt und Nervenwachstum

Genau hier kann Sport helfen. Studien belegen, dass Sport die Produktion von Dopamin ankurbelt. Durch Sport werden die gleichen neuronalen Schaltkreise im Belohnungssystem aktiviert wie durch Drogenkonsum. Sport wird in der Forschung daher als alternativer Verstärker bezeichnet, der die Funktion übernimmt, die zuvor die Droge ausgefüllt hat. Dabei wirkt sich Sport auch unmittelbar auf das Wohlbefinden aus, wie dieser ehemalige Teilnehmer von Quit the Shit bestätigt: „Insgesamt wurde ich wacher und ausgeglichener. Das hat mich motiviert, auch die schwierigeren Momente während des Entzugs zu überstehen.“

Empfehlenswert ist es, möglichst gleich zu Beginn des Ausstiegs in das regelmäßige Training einzusteigen, um aufkommende Entzugssymptome im Keim zu ersticken und die Regeneration des Körpers zu fördern. Dabei kommt noch eine andere Substanz zum Tragen, die als BDNF bezeichnet wird. Ausgeschrieben lautet die englische Bezeichnung brain-derived neurotrophic factor oder auf Deutsch: vom Gehirn stammender neurotropher Faktor.

BDNF ist ein Protein, das für die Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns von großer Bedeutung ist. BDNF schützt unsere Nervenzellen und fördert die Verknüpfung neuer Nervenverbindungen. Studien zufolge sinkt der BDNF-Level vor allem in der frühen Phase des Entzugs. Training scheint einen positiven Einfluss auf die Konzentration von BDNF im Gehirn zu haben. Sport trägt somit dazu bei, dass sich die durch die Droge bedingten neurobiologischen Veränderungen wieder zurückbilden und Ausstiegswillige längerfristig vor einem Rückfall geschützt werden.

Mindestens 150 Minuten Sport pro Woche

Für Personen, die sich von einer Drogenabhängigkeit befreien wollen, ist Sport somit eine Art Allzweckmittel. Sport kann die Leere füllen, die der Entzug nach sich zieht. Entzugssymptome sowie das Craving werden gelindert. Und ganz nebenbei fühlen sich Betroffene körperlich fitter, sind weniger depressiv und gewinnen an Selbstvertrauen, den Ausstieg erfolgreich zu meistern. Oder wie ein ehemaliger Teilnehmer von Quit the Shit es ausgedrückt hat: „Sport hat mir sehr geholfen, da es einen auf komplett andere Gedanken bringt und man sich ein Ziel setzen muss. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Kiffen keine Option mehr.“

Welche Sportart betrieben wird, ist vermutlich nachrangig. Die Forschung legt zwar nahe, dass Ausdauersportarten wie Laufen, Radfahren oder Schwimmen etwas effektiver sind als Kraftsport. Studien haben aber belegen können, dass sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining positive Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben und somit beide Trainingsarten wohl auch im Entzug ähnliche Effekte erzielen.

Wer sich nun fragt, wie viel trainiert werden sollte: Eine Orientierung bieten die Empfehlungen des European Heart Network in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Erwachsenen wird empfohlen, wöchentlich mindestens 150 Minuten moderat oder mindestens 75 Minuten intensiv zu trainieren. Besser noch seien bis zu 300 Minuten moderates oder 150 Minuten intensives wöchentliches Training. Das Training sollte sich auf mehrere Tage pro Woche verteilen, beispielsweise auf 4-5 Tage, bei mindestens 10 Minuten Training pro Session. Wem das noch zu viel erscheint: Jedes Training ist sinnvoll, auch wenn man mit weniger anfängt.

Fazit

Drogen wirken auf unser Belohnungssystem. Bei regelmäßigem Konsum kommt es jedoch zu neurobiologischen Anpassungen. Dabei spielt der Neurotransmitter Dopamin eine wichtige Rolle. Bei Abstinenz entsteht ein Mangel an Dopamin. Entzugssymptome und der starke Drang, diese durch erneuten Drogenkonsum zu lindern, sind die Folge.

Sport kann in dieser Situation Entzugssymptome dämpfen und die Stimmung heben, weil die körperliche Aktivität hilft, den Neurotransmitterhaushalt wieder ins Lot zu bringen. Gleichzeitig trägt Sport dazu bei, dass sich neurobiologische Veränderungen zurückbilden und Ausstiegswillige langfristig besser geschützt sind vor einem Rückfall.

 

Quellen:

  • Charlet, K. & Heinz, A. (2012). Pathomechanismen der Abhängigkeitserkrankungen - Funktion und Neuroanatomie des Belohnungssystems. InFo Neurologie & Psychiatrie, 14 (10), 44-53.
  • Lynch, W., Peterson, A. B., Sanchez, V., Abel, J. & Smith, M. A. (2013) Exercise as a novel treatment for drug addiction: A neurobiologicaland stage-dependent hypothesis. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 37, 1622-1644.
  • Marrero-Cristobal, G., Gelpi-Dominguez, U., Moralez-Silva, R., Alvarado-Torres, J., Perez-Torres, J., Perez-Perez, Y. & Sepulveda-Orengo, M. (2021). Aerobic exercise as a promising nonpharmacological therapy for the treatment of substance use disorders. J Neurosci Res, https://doi.org/10.1002/jnr.24990.
  • WHO (2020)

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