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Wie Alkohol das Gehirn junger Menschen schädigt

April 2013

Sich die Kante geben, volllaufen lassen, einen hinter die Binde kippen … im deutschen Sprachgebrauch finden sich zahlreiche Umschreibungen für das Betrinken mit Alkohol. Was lustig klingt kann jedoch langfristig negative Konsequenzen nach sich ziehen. Denn übermäßiger Alkoholkonsum kann die Gehirnentwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen empfindlich stören.

Zeichnung eines halbtransparenten Männerkopfes mit verkleinertem Gehirn vor schwarzem Hintergrund

Bild: angelhell / istockphoto.com

Eben noch lag der Junge mit der blauen Trainingsjacke reglos auf dem Boden. Plötzlich fliegt er wie von Geisterhand bewegt durch die Luft, macht einen Salto rückwärts und landet auf seinem Fahrrad. Schnell wird klar: Hier läuft der Film rückwärts. Lukas hat im Spot „Hausparty“ ausgiebig Alkohol getrunken und anschließend versucht, mit 1,3 Promille Fahrrad zu fahren. Rauschtrinken, so vermittelt die Kampagne „Kenn dein Limit“, kann böse enden. Anders als im Film lässt sich das Leben nicht zurückspulen, wenn es schief geht.

Asynchrone Entwicklung

Problematisch am Alkohol ist, dass er die Reaktionsfähigkeit und das Koordinationsvermögen mindert und gleichzeitig die Risikobereitschaft erhöht. Bei jungen Menschen ist dieser Effekt noch stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Wieso eigentlich?

Aus Sicht der Hirnforschung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Rauschtrinken bei Jugendlichen, weil sich das limbische System und der präfrontale Cortex asynchron, das heißt zeitversetzt entwickeln. Das limbische System ist angesiedelt zwischen Großhirn und Hirnstamm und ist zuständig für die Verarbeitung von Emotionen. Der „belohnende“ Effekt von Alkohol hat hier seinen Ursprung.

Den Gegenpol bildet der präfrontale Cortex. Hier regiert die Vernunft, die den triebgesteuerten Impuls aus der Tiefe des Gehirns in seine Schranken weist. Bei Jugendlichen ist der präfrontale Cortex allerdings noch nicht voll entwickelt, während das limbische System seine Arbeit schon mit Vollgas verrichtet. Die Folge: Die Konsequenzen des eigenen Tuns werden nur unzureichend abgewogen. Für den kurzfristigen Spaß werden die Risiken einfach ausgeblendet.

Gehirnentwicklung bis zum Alter von 25 Jahren

Doch Rauschtrinken ist Gift für das Gehirn und kann die Entwicklung der grauen Zellen nachhaltig beeinträchtigen. Anders als früher angenommen, ist die Gehirnentwicklung nicht in der Kindheit abgeschlossen, sondern setzt sich bis etwa zum Alter von etwa 25 Jahren fort.

In der Kindheit steht die Ausbildung der grauen Substanz im Vordergrund. Das ist die äußerste Hirnrinde, die auch als Cortex bezeichnet wird. Das Jugendalter ist eine erneute Phase des Umbaus. Verschaltungen zwischen den Hirnarealen werden aufgebaut und verfeinert. Ein wichtiger Prozess dieser Reifungsphase ist die Myelinisierung der Nervenfasern. Die so genannte Myelinscheide bildet eine Art Isolationsschicht, die für eine störungsfreie Weiterleitung elektrischer Nervenimpulse sorgt. Da die Myelinscheide weiß ist, wird dieser Bereich des Gehirns auch als weiße Substanz bezeichnet. Häufiges Rauschtrinken kann die Entwicklung der weißen Substanz jedoch beeinträchtigen.

Hirnstruktur durch Rauschtrinken verändert

Die US-amerikanische Forscherin Susan Tapert und ihr Team haben zeigen können, dass sich schon bei 16- bis 19-jährigen Jugendlichen Veränderungen der weißen Substanz durch Rauschtrinken nachweisen lassen. Zum Vergleich wurden gleichaltrige Jugendliche herangezogen, die noch nie einen Alkoholrausch hatten, aber im Hinblick auf den Bildungsstand und anderen Faktoren vergleichbar waren.

Mit Hilfe eines speziellen bildgebenden Verfahrens, der Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI), wurden die Jugendlichen gründlich durchleuchtet, so dass sich auch kleinste Abweichungen in der Struktur der weißen Substanz nachweisen ließen. Die Ergebnisse zeigen auf, das Jugendliche umso stärker ausgeprägte Veränderungen in der weißen Substanz aufweisen, je häufiger sie bereits einen „Kater“ durch Alkohol hatten.

Hippocampus ist betroffen

Studien, in denen mit der hochauflösenden Magnetresonanztomographie gearbeitet wurde, konnten zeigen, dass eine Region, die als Hippocampus bezeichnet wird, besonders betroffen ist. Es gibt zwei Hippocampi im Gehirn - einer links, einer rechts - und bei Jugendlichen, die intensiv Alkohol trinken, ist zumindest einer davon signifikant verkleinert. Was folgt daraus?

Der Hippocampus trägt entscheidend dazu bei, dass Informationen vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis übergehen, sprich: Damit wir uns neu Erlerntes auch wirklich merken. Ist die Funktion des Hippocampus beeinträchtigt, kommt es zu Gedächtnisproblemen. Eben Gelerntes ist schon bald wieder vergessen.

Gravierende Auswirkungen wie das Korsakow-Syndrom sind zwar erst nach jahrelangem Alkoholmissbrauch zu erwarten, doch auch bei Jugendlichen lassen sich Gedächtnisdefizite feststellen, wenn man die Leistungen von jugendlichen Rauschtrinkern mit denen abstinent lebender Jugendlicher vergleicht.

Ein britisches Forschungsteam hat dies überprüft. In der Studie mussten die beteiligten Jugendlichen zunächst selbst einschätzen, wie oft sie im Alltag Dinge vergessen, die sie eigentlich vorhatten zu tun, wie zum Beispiel sich mit Freunden zu treffen. Anschließend wurde ihnen ein Video eines Einkaufstrips gezeigt. Zuvor hatten sie einige Minuten Zeit, sich ein paar Aufgaben zu merken, die mit bestimmten Szenen des Videofilms gekoppelt waren. Beispielsweise sollten sie sich merken, einem Freund eine SMS zu schicken, wenn die Filmprotagonisten ein bestimmtes Geschäft betreten.

Zwar zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich der Selbsteinschätzung der Jugendlichen. Im Kontrast dazu standen allerdings die Testergebnisse. Beim Video merkten sich die trinkenden Jugendlichen signifikant weniger. „Die Rauschtrinker erinnerten sich an bis zu einem Drittel weniger Aufgaben", sagt Forschungsleiter Thomas Heffernan. Studien weisen zudem darauf hin, dass es mitunter Jahre der Abstinenz braucht, bis das Gehirn wieder das normale altersangemessene Leistungsniveau erreicht.

Akute Toleranz

Tierexperimente weisen zudem darauf hin, dass sich das jugendliche Gehirn aufgrund von Alkoholkonsum womöglich langsamer entwickelt. In einem Laborversuch untersuchten die Forscherinnen Elena Varlinskaya und Linda Spear wie Teenager-Ratten auf eine Alkoholinjektion reagieren. Beobachtet wurde, dass die jugendlichen Nager nicht so stark betäubt waren wie erwachsene Tiere und dass sie weniger motorische Beeinträchtigungen aufwiesen. Außerdem fehlten den jungen Ratten offensichtliche Anzeichen für eine Alkoholvergiftung. Was im ersten Moment gut klingt, muss aber mit einem hohen Preis erkauft werden.

Die Ursache für das, was die Autorinnen der Studie „akute Toleranz“ nennen, ist eine Art Ausgleichsmechanismus. Das Gehirn der Ratten versucht, die durch Alkohol verursachten Beeinträchtigungen durch eine schnelle Anpassung wieder wett zu machen. Doch der Aufwand, den das Gehirn hierfür leisten muss, geht zu Ungunsten der allgemeinen Entwicklung des Gehirns. Kurz gesagt: Jugendliche können Alkohol besser vertragen, bezahlen dafür aber mit einer gebremsten Gehirnentwicklung.

Fazit

Aktuelle wissenschaftliche Studien konnten aufzeigen, dass das Rauschtrinken schädlich ist für die Gehirnentwicklung junger Menschen. Hierbei konnten insbesondere Schäden im Bereich des Hippocampus nachgewiesen werden, eine Region, die wichtig ist für die Gedächtnisbildung.

Schon die bekannten Blackouts - Erinnerungslücken nach heftigen Trinkgelagen - können als ein Warnzeichen für bevorstehende Schäden am Hippocampus gewertet werden. Denn hier hat der Alkohol offenbar zu einem kurzfristigen Ausfall der Speicherung in das Langzeitgedächtnis geführt. Was gestern Abend war, ist im Vollrausch schlicht verloren gegangen.

Es sind mitunter mehrere Jahre der Abstinenz nötig, um wieder ein halbwegs normales Leistungsniveau zu erreichen. Doch Studien zeigen auch auf: Wer sich schon als Jugendlichen daran gewöhnt, sich aus Spaß zu betrinken, wird später mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Alkoholproblem entwickeln.

Quellen:


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