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Starker Wille reicht nicht - Strategien erhöhen die Chancen für den Ausstieg aus dem Drogenkonsum

Februar 2023

Auch ein starker Wille hat mal schwache Momente. Viele Menschen glauben, ihr Wille müsse nur stark genug sein, um eine Sucht abzuschütteln. Doch der Glaube an die eigene Willenskraft kann trügerisch sein. Besser ist es, Strategien anzuwenden, um die Sucht auszutricksen.

Bild: sally2001 / photocase.de

„Ständig habe ich mir vorgenommen, morgen aufzuhören... und habe dann wieder eingekauft. Ich war genervt von mir selber." Christian* war Teilnehmer des Beratungsprogramms Quit the Shit und hat einen kurzen Erfahrungsbericht über seinen Ausstieg aus dem Cannabiskonsum verfasst. Mehrfach habe er versucht aufzuhören. Doch immer wieder habe die Sucht ihn eingeholt.

Viele Menschen unterschätzen den enormen Sog, den Cannabis und andere Suchtmittel wie Alkohol, Kokain oder Amphetamine auslösen können. Dass sie abhängig sind, merken Betroffene oft erst, wenn sie aufhören wollen. Trotz bester Absichten und dem festen Willen, den Konsum hinter sich zu lassen, zieht die Sucht sie immer wieder zurück in das alte Konsummuster.

In der Fachwelt wird eine Sucht auch als Abhängigkeit bezeichnet. Der starke Wunsch, psychotrope Substanzen zu konsumieren sowie die verminderte Fähigkeit, diesen Drang zu kontrollieren, sind Kennzeichen einer Abhängigkeit. Manche Menschen, die von einer Droge abhängig sind, haben große Probleme, ihren Konsum zu beenden. Meist benötigen sie mehrere Anläufe, bis es ihnen gelingt, dauerhaft auf den Konsum zu verzichten.

„Ich habe drei Anläufe gebraucht, um rauszukommen“, erklärt Anna im drugcom-Video. „Der Dritte erst war erfolgreich. Beim Zweiten war ich sogar schon in Therapie.“ Anna war abhängig von Cannabis. Das Kiffen erlebte sie wie einen „dunklen Begleiter“, den sie erst über einen längeren Prozess loswerden konnte.

Häufig Rückfall bei unvorbereitetem Ausstieg

Wie Anna ergeht es vielen, die versuchen, das Kiffen einzustellen. Dies zeigte sich auch in einer US-amerikanischen Studie, in der 193 ausstiegswillige Cannabiskonsumierende drei Monate lang begleitet wurden. Nur wenigen ist es gelungen, das Kiffen selbständig einzustellen oder zu reduzieren. Die meisten sind schon nach einem Tag, spätestens aber nach einer Woche rückfällig geworden.

Kaum eine der teilnehmenden Personen hatte sich im Vorfeld vorbereitet und sich beispielsweise mit den zu erwartenden Risikosituationen beschäftigt. Ein Teil der Kiffer hatte sich zumindest darum bemüht, Aktivitäten zu finden, mit denen sie sich ablenken können. Deutlich wurde: Wer sich bewusst mit anderen Dingen beschäftigte, war im Schnitt länger abstinent als Kiffer, die sich keine Alternativen gesucht haben. Der bloße Wille zur Veränderung reicht offenbar nicht aus, um dauerhafte Abstinenz zu erlangen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie aus Australien, in der 69 drogenabhängige Personen über einen Zeitraum von drei Jahren begleitet wurden. Die Teilnehmenden waren entweder von Opioiden, Alkohol oder Methamphetamin abhängig. In einjährigem Abstand führte das Forschungsteam Interviews durch, um zu erfahren, wie es den Teilnehmenden ergangen ist und was ihnen geholfen hat, abstinent zu werden.

Strategien machen den Unterschied

Auffällig war, dass fast alle Teilnehmenden sich selbst einen starken Willen zugeschrieben haben. Jedoch habe der Wille nach Angaben des Forschungsteams keinen Einfluss darauf gehabt, ob die Personen erfolgreich ausgestiegen sind oder nicht. „Ich hatte immer einen starken Willen“, wird einer der Teilnehmenden zitiert. „Ich schätze, ich habe ihn allerdings nicht immer gut genutzt.“

Was die erfolgreichen von den nicht erfolgreichen Personen unterschied, war die Anwendung von Strategien. Personen, die es geschafft haben, dauerhafte Abstinenz zu erlangen, hatten schon zu Beginn der Studie detaillierte Vorstellungen davon, welche Strategien sie anwenden wollen.

Besonders erfolgreich waren Personen, die einen radikalen Umbau ihres Alltags vollzogen haben. Für viele der Befragten war der Umzug in eine andere Wohngegend ein wichtiger Schritt, um vom alten Leben wegzukommen. Eine Teilnehmerin berichtete, dass sie sogar mehrfach umgezogen sei, bis sie eine Wohngegend gefunden hat, in der sie drogenfrei leben kann. Ein anderer Teilnehmer habe sich verstärkt auf die Arbeit konzentriert, um den Personen aus dem Wege zu gehen, mit denen er früher Drogen genommen hat.

Wer sich hingegen nur auf seine Willenskraft verließ, ohne konkrete Veränderungen im Leben vorzunehmen und ohne die Entwicklung einer festen Tagesstruktur, der- oder diejenige hatte meist Probleme damit, weiteren Versuchungen zu widerstehen. Warum ist das eigentlich so schwierig?

Willenskraft kann erschöpft werden

Nach Aussage des Forschungsteams unter der Leitung von Neil Levy hängt dies mit unserer begrenzten Willenskraft zusammen. Demnach sei unser Wille zur Selbst-Kontrolle eine Fähigkeit, die sich erschöpfen kann. Wie ein Muskel verfüge auch die Willenskraft nur über eine begrenzte Ausdauer. Ist diese erschöpft, fehle es an Widerstandsfähigkeit, wenn die Betroffenen in bestimmten Risikosituationen in Versuchung geraten.

Viele Menschen überschätzen jedoch ihre Willenskraft und ihre Fähigkeit, das eigene Verhalten zu regulieren. Die Psychologen Roy Baumeister und Todd Heatherton haben dieses Phänomen als Selbstregulationsfehler bezeichnet. Zentrale Ursache für eine fehlerhafte Selbstregulation sei die ungenügende Kontrolle der Aufmerksamkeit.

Wer aus dem Drogenkonsum aussteigen will, sollte in einer kritischen Situation die Aufmerksamkeit auf die Zukunft richten und sich bewusst vor Augen führen, welche Vorteile langfristig mit der Abstinenz verbunden sind. Ist die Aufmerksamkeit aber zu sehr auf das Hier und Jetzt fokussiert, also auf die unmittelbare Wirkung der Droge, kann die Fähigkeit zur Selbstkontrolle geschwächt sein.

Scheinbar kleine Anlässe lösen Schneeballeffekt aus

Laut Baumeister und Heatherton reiche oftmals schon ein vermeintlich kleiner Anlass, der eine Art Schneeballeffekt auslöst. Wer beispielsweise im Freundeskreis „nur“ einmal an einem Joint zieht, läuft Gefahr, dies als „Versagen“ zu interpretieren. Die Person denkt sich dann vielleicht, „jetzt ist es ohnehin egal“ und konsumiert weiter. Dadurch schwindet der Glaube an die eigene Fähigkeit zur Selbstregulation und das eigentliche Ziel der Abstinenz rückt in weite Ferne. „Ich bin halt Kiffer“, denkt sich der eine oder die andere.

In der Studie von Neil Levi und seinem Team berichteten Personen, die ihr Leben umgekrempelt und gezielt neue Gewohnheiten entwickelt haben, hingegen seltener von Situationen, in denen der Wunsch nach Drogenkonsum wieder aufgeflammt ist. Eine Teilnehmerin sagte, dass ihr zwar hin und wieder der Gedanke an Drogenkonsum gekommen sei. Allerdings habe sie dies nicht weiter belastet: „Es passte nicht mehr in mein jetziges Leben.“

Die Studie hat somit gezeigt, dass ein starker Wille zwar hilfreich ist, um den Ausstieg in Angriff zu nehmen. Wer sich aber ausschließlich auf die eigene Willenskraft verlässt, hat den Situationen, in denen der Wunsch nach Drogenkonsum ausgelöst wurde, wenig entgegenzusetzen. Die Aufmerksamkeit wird schnell weg vom fernen Ziel der Abstinenz und hin zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung gelenkt. Das Resultat ist ein Rückfall in alte Konsumgewohnheiten.

Kifferfreunde bergen hohes Rückfallrisiko

Wie wichtig eine gute Vorbereitung und die aktive Auseinandersetzung mit dem Ausstiegsprozess ist, konnte auch in einer Onlinebefragung von 165 Cannabiskonsumierenden gezeigt werden. Alle hatten vor, aus dem Konsum auszusteigen. Wer sich jedoch nicht mit seinen Lebensumständen befasst und Bewältigungsstrategien entwickelt hatte, ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wieder rückfällig geworden. Vor allem der Kontakt zum kiffenden Freundeskreiswar mit einem hohen Risiko verbunden, wieder zu konsumieren.

Erfolgreiche Aussteigerinnen und Aussteiger der Studie hatten hingegen häufiger Strategien entwickelt, wie sie anderen Kiffern bewusst aus dem Wege gehen. Auch hatten sie sich mehr damit beschäftigt, wie sie mit unangenehmen Gefühlen wie depressiven Stimmungen und Stress umgehen können. Erfolgreich ausgestiegene Personen hatten zudem öfter professionelle Hilfe in Anspruch genommen.

Die Vorbereitung auf den Ausstieg durch die Entwicklung von Bewältigungsstrategien ist ein wichtiger Baustein im Beratungsprogramm Quit the Shit. Vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Quit the Shit hilft vor allem Sport. So erklärt ein User auf die Frage, was ihm geholfen habe, abstinent zu bleiben: „Sport, Sport, Sport. Insgesamt wurde ich wacher und ausgeglichener. Das hat mich motiviert, auch die schwierigeren Momente während des Entzuges zu überstehen." Andere User berichten auch davon, dass ihnen Unternehmungen mit dem nicht-konsumierenden Freundeskreis oder Entspannungstechniken wie Meditation geholfen haben.

Fazit

Ein starker Wille ist hilfreich, um den Ausstieg aus dem Drogenkonsum in die Tat umzusetzen. Für eine dauerhafte Abstinenz dürfte es jedoch unerlässlich sein, Strategien für den Umgang mit Risikosituationen zu entwickeln. Das kann beispielsweise das aktive Meiden von Situationen sein, die in der Vergangenheit mit Drogenkonsum in Zusammenhang standen oder Gespräche mit nicht konsumierenden Freundinnen und Freunden.

Besonders wichtig und hilfreich sind alternative Aktivitäten. Diese sollten möglichst viel Aufmerksamkeit erfordern, um sich davon abzulenken, an das Kiffen zu denken. Sport ist besonders gut geeignet. Wer sich tagsüber sportlich betätigt, ist ausgeglichener und kann abends besser einschlafen.

Zusätzlich kann auch professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Cannabiskonsumierende können das mehrwöchige Online-Programm Quit the Shit kostenlos in Anspruch nehmen. Darüber hinaus gibt es Beratungsstellen vor Ort, die ebenfalls kostenlos genutzt werden können.

 

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