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Eine neue Droge pro Woche

Juli 2012

2011 wurden 49 neue Drogen in der Europäischen Union entdeckt, also knapp eine Droge pro Woche. Die größte Gruppe darunter bilden synthetische Cannabinoide. Das sind künstlich hergestellte Substanzen, die eine ähnliche chemische Struktur haben wie der Cannabis-Wirkstoff THC. In bunte Tütchen verpackt und als Kräutermischung deklariert, werden diese Substanzen als so genannte „Legal Highs“ vermarktet. Bislang gibt es keine systematischen Studien über Wirkungen und Risiken. Erste Fallstudien belegen aber, dass der Konsum schwerwiegende Folgen nach sich ziehen kann.

Schild mit abgebildetem Kaninchen, darunter steht

Bild: velcron / istockphoto.com

„Schäm dich John!“ Mit dieser Überschrift betitelt Philip Strange, Professor für Pharmakologie, seinen Essay über den Forscher John W. Huffman auf lablit.com. Bis vor einigen Jahren war der US-amerikanische Wissenschaftler Huffman vermutlich nur einem engen Kreis von pharmakologisch forschenden Fachleuten bekannt. Seine Initialen JWH bilden eine Gruppe von neuen synthetischen Cannabinoiden. 2008 ist das synthetische Cannabinoid mit der Bezeichnung JWH-018 dadurch bekannt geworden, dass es unter dem Namen „Spice“ als scheinbar exotische Kräutermischung vermarktet wurde. Rasant verbreitete sich per Internet die Kunde, dass es ähnlich wirke wie Cannabis, aber völlig legal zu erwerben sei. Ein deutsches Labor hat schließlich die eigentliche Wirksubstanz in Analysen gefunden. 2009 wurde JWH-018 per Eilverordnung verboten.

JWH-018 ist jedoch, wie die Nummer nach den Initialen bereits andeutet, nur eine von vielen Verbindungen, die John W. Huffman hergestellt hat. Folgt man dem Eintrag zu Huffman auf Wikipedia, so hat er bislang insgesamt über 450 neue synthetische Cannabinoide synthetisiert. Sein Ziel sei es, neue Medikamente zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs oder Multiple Sklerose zu entwickeln. Was er aber wohl nicht bedacht hatte und was ihm sein eingangs zitierter Kollege Philip Strange vorwirft, ist die Tatsache, dass er offenbar die Geschäftstüchtigkeit mancher Menschen unterschätzt habe. Sie hätten seine Forschungsergebnisse aufgegriffen, um getrocknetes Grünzeug damit aufzupeppen und gewinnbringend per Internet zu vermarkten. Zwar war diese Entwicklung so nicht vorherzusehen, ein bisschen Scham über die eigene Naivität ist aber wohl tatsächlich angebracht.

Galoppierende Zunahme

Die Europäische Drogenbeobachtungsbehörde EBDD in Lissabon hat jüngst in einer Pressemitteilung vor einer galoppierenden Zunahme neuer Drogen gewarnt. Neue synthetische Substanzen würden sich „mit rasanter Geschwindigkeit“ weltweit ausbreiten. Allein 2011 seien 49 neue Drogen offiziell an das Frühwarnsystem der EU gemeldet worden. 2010 waren es 41 und 2009 nur 24 Substanzen. 2011 unterteilen sich die registrierten neuen Drogen vor allem in zwei Gruppen: 23 synthetische Cannabinoide und 8 synthetische Cathinone. Letztere sind verwandt mit dem Wirkstoff Cathin, der natürlicherweise in der Khat-Pflanze vorkommt. Mephedron, eine bereits verbotene Substanz, gehört zu dieser Stoffgruppe.

Wolfgang Götz, Direktor der EBDD, warnt: „Wir stellen fest, dass neue Drogen in attraktiven Verpackungen über das Internet, in Nachtclubs oder an der Straßenecke verkauft werden. Wo auch immer diese Substanzen herkommen, Tatsache ist, dass eine zunehmende Vielfalt von Pulvern, Pillen und Mischungen konsumiert wird und Konsumenten sich auf ein gefährliches Spiel einlassen, denn sie haben meist keine Detailkenntnisse über die Inhalte und möglichen Gesundheitsgefahren dieser Substanzen.“

Konsumwarnungen

Huffman selbst soll einem im Internet veröffentlichten E-Mail-Verkehr zufolge betont haben, dass es seines Wissens bislang keine toxikologischen Studien zu JWH-018 gibt. Der Pharmakologe stellt auch fest, dass JWH-018 vermutlich stärker sei als THC. Darauf deuten zumindest Versuche mit Mäusen hin. Konsumentinnen und Konsumenten, die synthetische Cannabinoide konsumieren, werden somit zu „Testkaninchen“ für bislang kaum erforschte neue Substanzen.

Erkenntnisse über die Risiken basieren derzeit nur auf Fallstudien. Diese weisen darauf hin, dass der Konsum von „Legal Highs“, denen synthetische Cannabinoide beigemengt wurden, teils gravierende Folgen haben können. So hatte erst jüngst das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor dem Rauchen von Kräutermischungen gewarnt. 2010 hat es 15 gemeldete Fälle von Vergiftungserscheinungen gegeben. Nach Angaben des BfR seien viele der aufgetretenen Symptome wie Herzrasen, Übelkeit und Sehstörungen auch von Cannabis bekannt. In schweren Fällen litten die betroffenen Jugendlichen auch unter wiederkehrendem Erbrechen oder Krampfanfällen. Krampfanfälle würden jedoch nicht zu den typischen Komplikationen nach Cannabis zählen. Dies sei vermutlich auf eine Kombination verschiedener synthetischer Cannabinoide zurückzuführen. Aus Sicht des BfR seien diese Fälle ein deutliches Alarmsignal dafür, dass von den neuen synthetischen Cannabinoiden ein erhöhtes Gefahrenpotential ausgehe.

Psychosen

Schon seit längerem steht pflanzlicher Cannabis im Verdacht, die Wahrscheinlichkeit für Psychosen zu erhöhen. Nun wird nicht jeder Kiffer psychotisch. Studien weisen aber darauf hin, dass besonders jene Konsumierenden, die eine intensive Wirkung bevorzugen und dabei zu hochpotentem Gras greifen, gefährdet sind. Generell gilt: Je intensiver der Konsum, desto höher das Risiko für psychotische Symptome. Da synthetische Cannabinoide vermutlich noch potenter als pflanzlicher Cannabis sind, muss also von einem höheren Risiko für Psychosen ausgegangen werden.

Der Psychiater Joseph M. Pierre hat 2011 in einem Artikel die bisher bekannten Fälle zusammengetragen, in denen sich nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden psychotischen Symptome eingestellt haben. Aufgrund der bisherigen Fälle liege die Vermutung nahe, dass synthetische Cannabinoide zumindest ebenso wie pflanzliches THC in der Lage sind, psychotische Symptome auszulösen, besonders bei Personen, die bereits psychotische Episoden hinter sich haben. Die häufigsten Symptome sind starke Angst, Paranoia und Halluzinationen.

Fatale Folgen

Volker Auwärter, Toxikologe am Universitätsklinikum Freiburg hat 2011 in einem Vortrag auf der Jahrestagung der Bundesdrogenbeauftragten von weiteren Fällen mit teils gravierende Folgen berichtet. So wurde ein 25-Jähriger tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die Obduktion ergab keine fassbare Todesursache. Bei einer toxikologischen Analyse fand man jedoch eine hohe Konzentration JWH-122 und JWH-210, beides synthetische Cannabinoide. Auwärter vermutet daher, dass der Mann an einem Atemstillstand gestorben sein könnte, der durch einen exzessiven Missbrauch synthetischer Cannabinoide hervorgerufen wurde. In weiteren Fällen begingen zwei Männer Selbstmord, möglicherweise infolge einer Panikattacke, wobei in beiden Fällen keine Vorzeichen hierfür zu erkennen waren.

Ein Ärzteteam aus den USA berichtete in der Fachzeitschrift Pediatrics von drei 16-Jährigen, die mit starken Brustschmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Es stellte sich heraus, dass sie einen Herzinfarkt erlitten hatten. Die drei Jungen wiesen jedoch keine bedeutsamen Vorerkrankungen auf, und auch in der Familie gab es keine bekannten Herzerkrankungen. Nach Befragung der Jugendlichen gaben alle zu, in den Tagen oder Wochen vor der Einlieferung K2 konsumiert zu haben. K2 ist eine Kräutermischung, ähnlich wie Spice, die sowohl in den USA als auch Europa zeitweilig sehr beliebt war. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom New Yorker Giftnotzentrum weisen in der gleichen Ausgabe von Pediatrics jedoch darauf hin, dass auch andere Designerdrogen wie neue synthetische Amphetamine oder Cathinone in den Kräutermischungen enthalten sein können. Da das Ärzteteam keinen direkten Nachweis einer psychoaktiven Substanz erbracht hatte, sei es letztlich unklar, welche Ursache wirklich zum Herzinfarkt geführt habe.

Unklare Inhaltsstoffe

Generell ist es ein Problem, dass Konsumentinnen und Konsumenten von „Spice“-Produkten keine Anhaltspunkt über die tatsächlichen Inhaltsstoffe oder ihre Intensität hätten, schreiben Liana Fattore und Walter Fratta in einem Übersichtsartikel zu synthetischen Cannabinoiden. Über 140 derartige Produkte, die meist über das Internet vermarktet werden, seien inzwischen identifiziert worden. Ständig würden neue Cannabinoide synthetisiert und auf den Markt gebracht. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Zusammensetzung, würden sich Konsumierende hohen gesundheitlichen Risiken aussetzen.

Fazit

Über die Kräutermischungen, die als „Legal High“ vermarktet werden, ist in der Regel weder die Zusammensetzung der Wirkstoffe noch deren Menge bekannt. Wer den Inhalt solcher „Wundertüten“ raucht, geht ein schwer zu kalkulierendes gesundheitliches Risiko ein. Fallberichte deuten darauf hin, dass der Konsum gravierende Folgen haben kann und bei einigen jungen Menschen sogar tödlich geendet ist. „Es ist als ob man Russisch Roulette spielt“, sagt Huffman in einem Interview mit der Website Livescience, „Du weißt nie, was mit dir passiert.“

Quellen:


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