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Richtlinien fürs Kiffen

Dezember 2012

Total dicht oder nur leicht benebelt? Die Forschung hat gezeigt, wer sich täglich mit Cannabis „wegschießt“ geht höhere gesundheitliche Risiken ein, als gelegentliche Kiffer, die eine milde Wirkung bevorzugen. Anstatt ausschließlich auf Abstinenz zu setzen, plädiert ein kanadisches Forschungsteam daher, in der Prävention auch für einen schadensminimierenden Umgang mit Cannabis einzutreten. Ein nicht ganz unumstrittenes Vorgehen.

Cannabisblätter

Bild: gaspr13 / istockphoto.com

„Cannabis ist keine harmlose Droge“, warnt der kanadische Forscher Benedikt Fischer vorsichtshalber, um klar zu stellen, dass er Cannabiskonsum grundsätzlich als gesundheitsgefährdend betrachtet. Doch die Forschung habe zeigen können, dass die Risiken vor allem vom Konsummuster abhängen. Fischer hat daher zusammen mit Victoria Jeffries, Wayne Hall, Robin Room, Elliot Goldner und Jürgen Rehm Richtlinien für einen schadensminimierenden Umgang mit Cannabis entwickelt.

Der sicherste Weg, um Schäden durch Cannabis zu vermeiden, sei zwar die Abstinenz. Angesichts der weiten Verbreitung des Konsums gehe die alleinige Forderung nach Abstinenz aber an der Realität vorbei, betont Fischer. Etwa ein Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Kanada hat Cannabis im letzten Jahr konsumiert - obwohl es illegal ist. Auch in Europa ist der Konsum von Cannabis besonders unter jungen Menschen verbreitet.

Empfehlungen für Hoch-Risikogruppen

Viele der Konsumierenden entwickeln keine bedeutsamen Probleme mit dem Konsum oder stellen ihn selbstständig nach einer Weile wieder ein. Dauerhafter und intensiver Cannabiskonsum ist aber mit einer Reihe an gesundheitlichen und sozialen Risiken verbunden. Bei Personen mit besonders riskanten Konsummustern sei es nach Meinung von Fischer wichtig, sie mit Hilfe von faktenbasierten Informationen zumindest zu einer Reduzierung des Konsums zu motivieren.

Um den Hardcore-Kiffern konkrete Hinweise zur Schadensminimierung in die Hand zu geben, haben die kanadischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Richtlinien-Katalog entworfen, die „Lower Risk Cannabis Use Guidelines“. Hierzu hat das Team zunächst den aktuellen Kenntnisstand zu den Risiken des Cannabiskonsums gesichtet und auf dieser Basis folgende Empfehlungen entwickelt (nach Fischer et al., 2011):

  1. Abstinenz:Der einfachste Weg, um jeglichen Schaden durch Cannabis zu vermeiden, ist die Abstinenz. Wer aber Cannabis konsumiert, sollte über die Risiken Bescheid wissen.
  2. Später Einstieg:Das Problem der Abhängigkeit und anderer wichtiger Risiken ist höher je früher in den Konsum eingestiegen wird. Daher sollte der Einstieg möglichst nicht vor dem Alter von 16 Jahren bzw. erst mit 18 Jahren oder noch später erfolgen.
  3. Niedrige Konsumfrequenz:Besonders häufiger, also täglicher oder fast täglicher Konsum kann gravierende Folgen nach sich ziehen und sollte deshalb vermieden werden.“
  4. Hilfe in Anspruch nehmen: Wer Probleme damit hat, seinen Konsum zu kontrollieren, sollte aus dem Konsum aussteigen. Wem dies ohne Unterstützung nicht gelingt, sollte professionelle Hilfe hierfür in Anspruch nehmen.
  5. Kein Tabak: „Um Risiken für die Atemwege zu vermeiden, sollte Cannabis (in dieser Reihenfolge) nicht mit Tabak zusammen geraucht sowie das tiefe Inhalieren oder Atemanhalten vermieden werden; und es sollten Vaporisatoren anstelle von Joints oder Wasserpfeifen genutzt werden.
  6. Konsum dosieren: Hochpotenter Cannabis erhöht das Risiko für psychotische Symptome. Konsumierende sollten vorsichtig dosieren und lernen, nur so viel zu konsumieren, wie sie für den gewünschten Rauschzustand benötigen.
  7. Kein Cannabis am Steuer:Da Cannabis das Fahrvermögen beeinträchtigt, sollte der Konsum mindestens 3-4 Stunden oder länger zurückliegen, wenn eine hohe Dosis verwendet wurde oder die Wirkung noch spürbar ist.
  8. Generelle Abstinenz für spezielle Gruppen:Die Wahrscheinlichkeit für cannabisbezogene Probleme ist bei bestimmten Personengruppen erhöht: bei schwangeren Frauen, bei älteren bzw. Personen mittleren Alters mit Herz-Kreislauf-Problemen und bei Personen, die bereits eine Psychose hatten oder Angehörige ersten Grades haben, die schon einmal an einer Psychose erkrankt waren.

Das Forschungsteam habe sich bei der Formulierung der Empfehlungen bewusst an den seit den 1990er Jahren eingeführten Regeln für risikoarmes Alkoholtrinken orientiert. Diese seien anfangs auch mit Skepsis betrachtet worden. Inzwischen seien sie aber einer breiten Bevölkerung bekannt und gelten als allgemein akzeptiert.

Zwar seien die Empfehlungen grundsätzlich für alle Cannabiskonsumierenden gültig, Fischer und sein Team wenden sich hiermit aber vor allem an die Gruppe der intensiv Konsumierenden, die täglich oder sogar mehrmals am Tag kiffen. Zwar können auch Dauerkiffer durchaus normal im Alltag „funktionieren“, sie sind aber hoch gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Dies ist zwangsläufig mit Einschränkungen im Alltag verbunden und zieht meist Probleme in der Schule, im Studium, im Beruf oder mit Angehörigen nach sich.

Unklare Zielgruppe

Es dürfe aber nicht vergessen werden, meint Patricia Erickson von der Universität Toronto, dass Cannabis in Kanada, wie auch in den meisten anderen Ländern, weiterhin eine illegale Droge ist. In einem Kommentar zur Studie bemängelt sie, dass derartige Richtlinien zwar gut gemeint seien, aber völlig unklar ist, an wen sie sich letztlich richten würden. Denn es sei wohl eher unrealistisch, dass in naher Zukunft Kampagnen für den Safer-Use von Cannabis in Kanada eingeführt werden. Insofern sei nicht ersichtlich, ob sich die Richtlinien an Konsumierende wendet oder die Politik. Ohne eine Kampagne würden die Richtlinien aber nicht bei den Konsumierenden ankommen und angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Drogenpolitik Kanadas sei es unwahrscheinlich, dass sich durch die Studie etwas ändert.

Den Hintergrund für die Studie bildet die etwa zeitgleiche Einführung härterer Mindeststrafen für den Besitz von Drogen in Kanada, der so genannten Safe Streets & Communities Act. Damit sollen vor allem Drogenproduzenten und Drogenhändler abgeschreckt werden. Allerdings bauen Konsumierende teils selbst Cannabis für ihren Eigengebrauch an, und bereits ab sechs Cannabispflanzen müssen Personen mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes für mindestens sechs Monate ins Gefängnis gehen.

Harm Reduction

Auch in Europa wird über den Umgang mit dem Konsum der illegalen Droge Cannabis diskutiert. So gibt es in mehreren Ländern in der Drogenprävention auch den Gedanken der Harm Reduction (engl. Schadensminimierung) [5]. Der Begriff Harm Reduction ist nicht streng definiert. Empfehlungen für risikoarmen Alkoholkonsum fallen ebenso darunter wie die Vergabe von Ersatzdrogen wie Methadon oder das Verteilen von sterilem Spritzbesteck an Heroinabhängige. Das Ziel aber ist immer, den Schaden, der durch den Konsum von legalen oder illegalen Drogen verursacht wird, zu reduzieren, ohne zwingend Abstinenz zu fordern.

Strategien zur Schadensminimierung nicht unproblematisch

Hinweise zur Schadensminimierung seien jedoch nicht unproblematisch, schreibt Andrew Bennett in einer Publikation der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD). Oftmals seien die Empfehlungen zur Schadensminimierung wissenschaftlich nicht hinreichend belegt bzw. widersprüchlich. Als Beispiel nennt Bennett Empfehlungen zu bestimmten Konsumformen. So werde aufgrund von Laborstudien davon ausgegangen, dass das Rauchen von Joints, in denen Cannabis mit Tabak gemischt wird, besonders riskant sei, weil dies schädlich für die Atemwege ist.

Der durch das Rauchen verursachte Schaden würde theoretisch betrachtet minimiert, wenn anstatt eines Joints, dem Tabak beigemengt wird, Cannabis pur geraucht wird. Bennett zitiert zudem einen Cannabis-Bericht des britischen Parlaments aus dem Jahre 1998, in dem die Benutzung von Wasserpfeifen als weniger schädlich bezeichnet wurde, weil dadurch weniger krebserregende Teerstoffe aufgenommen würden.

Laut Bennett haben Studien von Dale Gieringer ergeben, dass Wasserpfeifen, auch bekannt als Bongs, tatsächlich einen gewissen Anteil des Teers herausfiltern - THC aber auch. Dadurch verschlechtere sich das Verhältnis zwischen THC und Teer im Vergleich zum Joint. Das bedeutet, mit einer Wasserpfeife muss mehr Rauch inhaliert werden, um die gleiche Menge THC wie mit einem Joint zu inhalieren, was letztlich die aufgenommene Menge an Teer erhöht. Zudem ist das Bong-Rauchen eher bekannt dafür, dass hierbei eine besonders intensive Wirkung hervorgerufen wird, weil meist mehr Rauch und tiefer eingeatmet wird. Und die Risiken des Konsums steigen bekanntlich mit der Dosis.

Diskutiert wird auch der Einsatz von Vaporisatoren, beispielsweise im Rahmen der medizinischen Anwendung, weil dadurch die Schadstoffbelastung auf ein Minimum reduziert werde. In einem Vaporisator wird Cannabis nicht verbrannt, sondern durch elektrisch erzeugte Hitze verdampft. In Tests hätten Vaporisatoren tatsächlich „besser abgeschnitten“ als Joints oder Bongs. Bei dieser Applikationsform entsteht weniger Kohlenmonoxid, das als Hinweis für einen generell geringen Anteil an Schadstoffen gilt. In einer Studie aus dem Jahre 2008 mit einem handelsüblichen Vaporisator zeigte sich allerdings, dass beim elektrischen Erhitzen von Straßencannabis ein erhöhter Anteil an Ammoniak freigesetzt wird. Ammoniak wirkt neurotoxisch und schädigt die Leber. Bennett stellt zudem kritisch in Frage, inwiefern es sinnvoll ist, Geräte zu empfehlen, die eine geringe Akzeptanz unter den Usern haben.

Konsequenterweise könnten Risiken für die Atemwege sogar ganz vermieden werden, wenn Cannabis oral aufgenommen, also gegessen oder getrunken wird. Allerdings darf angezweifelt werden, ob der Rat, Cannabis zu essen, wirklich mit weniger Risiken verbunden ist. Andrew Bennet weist darauf hin, dass Konsumierende beim Rauchen eine unmittelbare Rückmeldung über die Stärke der Wirkung erhalten und den Konsum so relativ fein dosieren können. Beim Essen oder Trinken von Cannabis setzt die Wirkung jedoch stark zeitversetzt ein. Dabei kann es leicht zu Überdosierungen kommen.

Fazit

Cannabis ist die am weitesten verbreitet illegale Droge in Europa und für die meisten Konsumierenden ergeben sich kaum bedeutsame soziale oder gesundheitliche Einbußen, resümiert Andrew Bennett. Allerdings dürfe auch nicht vergessen werden, dass besonders häufiger und starker Konsum mit einer Reihe an körperlichen, psychischen und sozialen Risiken verbunden ist.

Hinweise zur Schadensminimierung könne ein nützlicher Weg sein, um die schädlichen Folgen des Cannabiskonsums zu reduzieren, sagt Bennett. Allerdings sei noch völlig unklar, ob und wie diese von den Konsumierenden angenommen werden. Zudem seien die Hinweise zu schadensminimierenden Konsumformen nicht ohne Widersprüche.

Bennett weist darauf hin, dass es wichtig sei, Cannabiskonsumierenden Angebote zu machen, sich über die Risiken zu informieren und jene dabei zu unterstützen, die ihren Konsum einschränken oder beenden wollen. Benedikt Fischer und sein Team haben hierzu eine wissenschaftlich basierte Vorlage geliefert. Entscheidend wird sein, ob Cannabiskonsumierende diese auch annehmen.

Quellen:


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