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Wie Cannabis die männliche Fruchtbarkeit stört

Dezember 2016

Spermien werden meist im Überfluss produziert. Dennoch sind manche Männer unfruchtbar. Studien zeigen auf, dass Cannabiskonsum möglicherweise einen Anteil daran hat. Denn der Cannabiswirkstoff THC scheint in vielfacher Weise die Fruchtbarkeit des Mannes zu sabotieren.

Eigelb umgeben von Bohnen, die wie Spermien aussehen

Bild: © istock.com / haoliang

Jeder Samenerguss schickt Millionen von Spermien auf eine lange Reise. Ihre Aufgabe ist es, das weibliche Ei zu finden und es zu befruchten. Am Ende wird nur ein einziges Spermium sein Ziel erreichen - oder auch nicht. Konsumiert der Mann Cannabis, könnte der komplexe Vorgang, der die Fruchtbarkeit des Mannes steuert, gestört werden. Der Cannabiswirkstoff THC scheint Studien zufolge auf verschiedenen Ebenen die Entwicklung und Funktionstüchtigkeit der Spermien zu gefährden.

Cannabinoidrezeptoren an Spermien

Cannabis wirkt psychoaktiv, weil THC an bestimmten körpereigenen Bindungsstellen andockt. Diese Bindungsstellen werden als Cannabinoidrezeptoren bezeichnet. Mitte der 1960er Jahre haben die Forscher Raphael Mechoulam und Yehiel Gaoni erstmals Cannabinoidrezeptoren entdeckt. Kurze Zeit später fanden sie auch endogene, also körpereigene Cannabinoide, die an diesen Rezeptoren binden. Es wird auch vom Endocannabinoid-System gesprochen.

Cannabinoidrezeptoren finden sich im gesamten Körper und erfüllen eine Reihe von Funktion, die bis heute noch nicht gänzlich erforscht sind. Bekannt ist aber, dass Cannabinoidrezeptoren für die Fruchtbarkeit des Mannes eine wichtige Rolle spielen.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Produktion funktionstüchtiger Spermien ist die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Hoden-Achse. Das ist ein Regelkreislauf zwischen dem Gehirn und den Hoden. Im Gehirn steuert der Hypothalamus die Aktivität der Hypophyse, die auch als Hirnanhangdrüse bezeichnet wird. Die Hypophyse produziert Hormone, die wiederum die Ausreifung von Spermien in den Hoden regelt. Auf allen Ebenen dieser Achse sind Cannabinoidrezeptoren zu finden. Studien weisen darauf hin, dass THC den Hormonlevel in der Hypophyse beeinflussen und dadurch die Produktion und Ausreifung von Spermien beeinträchtigen kann.

Sind die Spermien auf ihrem Weg zur Eizelle, spielen Cannabinoidrezeptoren ebenfalls eine wichtige Rolle. Innerhalb der Spermien werden Endocannabinoide produziert. Diese wandern nach außen und binden an Cannabinoidrezeptoren, die sich an der Außenhülle des Spermiums befinden. Dadurch werden die Beweglichkeit des Spermiums und die sogenannte Kapazitation gesteuert. Die Kapazitation ist ein Reifungsprozess, der erst innerhalb des weiblichen Geschlechtstrakts vonstattengeht. Dabei erfolgt ein biochemischer Umbau des Spermiums, der es in die Lage versetzt, mit der weiblichen Eizelle zu verschmelzen.

THC bringt hormonelle Steuerung durcheinander

Entscheidend hierbei ist das richtige Timing. Die Kapazitation darf weder zu früh noch zu spät erfolgen. Solange die Cannabinoidrezeptoren des Spermiums aktiviert sind, wird die Kapazitation verhindert. Auf der langen Reise zum Ei ist es sinnvoll, dass dieser Prozess nicht vorschnell stattfindet. Werden die Rezeptoren jedoch durch THC blockiert, können die Spermien gewissermaßen nicht scharf gestellt werden. Sie verpassen den richtigen Zeitpunkt der Aktivierung oder sind nur unvollständig aktiviert, wenn sie das weibliche Ei erreichen. Eine Verschmelzung mit dem Ei ist dann nicht möglich. In dieser Phase könnte auch der Cannabiskonsum der Frau eine Rolle spielen. Denn THC wurde auch in der Scheidenflüssigkeit von Frauen nachgewiesen.

Die Fruchtbarkeit des Mannes kann auch dann schwinden, wenn das Ejakulat zu wenige Spermien enthält. Eben dies konnte in einer Studie mit 22 Cannabiskonsumierenden nachgewiesen werden, die seit durchschnittlich fünf Jahren regelmäßig kifften. Zudem schien es, als wenn die Spermien sich zu schnell verausgaben. Normalerweise werden die Spermien erst dann besonders aktiv, wenn sie das Ei erreicht haben. Das hilft ihnen, die Eihülle zu durchdringen. Die Spermien der Kiffer hatten ihren Turbo-Modus jedoch zu früh gezündet.

„Die Spermien der Marihuana-Raucher haben sich zu früh zu schnell bewegt“, erklärt Studienleiterin Lani Burkman. „Das Timing war falsch. Diese Spermien erleben ihren Burn-out bevor sie das Ei erreichen und werden nicht mehr in der Lage sein, es zu befruchten.“

Schließlich kann Cannabis auch das Sexualempfinden beeinflussen. Berichten zufolge kann Cannabiskonsum das sexuelle Empfinden zwar verstärken, bei Dauerkonsum scheint jedoch die Fähigkeit zu schwinden, einen Orgasmus zu erleben. Studien zufolge steht langjähriger Cannabiskonsum auch mit Impotenz in Zusammenhang.

Möglicherweise erhöhtes Hodenkrebsrisiko durch Cannabiskonsum

Eine Meta-Analyse hat zudem aufzeigen können, dass Cannabiskonsumenten im Vergleich zu abstinenten Männern ein bis zu 2,6-fach erhöhtes Risiko für Hodenkrebs haben. Das erhöhte Risiko beschränkt sich allerdings auf eine spezielle Unterform, die als Non-Seminom bezeichnet wird. Non-Seminome sind besonders schnell sich entwickelnde aggressive Typen von Hodenkrebs, die meist bei jungen Männern auftreten. Generell gilt Hodenkrebs allerdings als seltene Erkrankung. Wird der Hodenkrebs früh erkannt, sind die Heilungschancen meist sehr gut.

Zwar kann die Studie nicht beweisen, dass Cannabis tatsächlich die Ursache für Hodenkrebs ist, eine Dosis-Wirkungs-Beziehung spricht allerdings dafür: Je häufiger konsumiert wird und je länger der Einstieg bereits zurückliegt, desto höher ist das Risiko für Hodenkrebs. Eine plausible Erklärung sei nach Angaben der Forscherinnen und Forscher, dass Cannabis in die Hypothalamus-Hypophysen-Hoden-Achse eingreift. Der hormonelle Kreislauf ruht in der Kindheit und wird erst wieder in der Pubertät aktiv. Kiffen Jugendliche, könnte dieser Prozess gestört werden.

Fazit

Die erfolgreiche Befruchtung einer weiblichen Eizelle setzt eine ganze Reihe von biochemischen Prozessen beim Mann voraus. Cannabinoidrezeptoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Der pflanzliche Wirkstoff THC kann die komplexen Vorgänge jedoch stören, da es ebenfalls an den Cannabinoidrezeptoren bindet. Das bedeutet nicht, dass jeder kiffende Mann unfruchtbar wird. Allerdings könnten Männer, die ohnehin an der Schwelle zur Unfruchtbarkeit stehen, diese Schwelle durch Cannabiskonsum überschreiten.

Bislang ist nicht bekannt, ob der schädliche Einfluss des Kiffens wieder umkehrbar ist, wenn der Konsum eingestellt wird. Die Forscherin Lani Burkman sagt dazu: „THC bleibt lange im Fettgewebe gespeichert, so dass der [umkehrende] Prozess möglicherweise sehr langsam vonstattengeht. Wir können noch nicht sagen, ob sich alles wieder normalisiert.“

Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko für Hodenkrebs. Ein ursächlicher Einfluss konnte zwar bislang nicht bewiesen werden, eine Dosis-Wirkungs-Beziehung spricht aber dafür: Je häufiger konsumiert wird und je früher in den Konsum eingestiegen wird, desto höher ist das Risiko für Hodenkrebs.


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