Topthema

Warum das Gehirn Jugendlicher besonders empfänglich ist für die Wirkung von Drogen

Juni 2025

Risiko? Welches Risiko? Manchmal handeln Jugendliche, ohne an die Folgen zu denken. Warum ist das so? Und was hat das mit Drogen zu tun?

Bild: fotografixx / iStock.com

Es ist Sommer. Tschick und sein Freund Maik fahren mit einem alten Lada durch Ostdeutschland, die Walachei ist ihr Ziel. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, allerdings: Der Wagen ist geklaut und beide sind erst 14 Jahre alt. „Tschick“ ist zwar nur ein Roman, aber klar ist: Jugendliche haben eine Neigung zu, sagen wir mal, nicht immer gänzlich durchdachtem Verhalten. Frei nach dem Motto: „No risk, no fun“.

Der Grund liegt vor allem im Gehirn. Denn in der Jugend finden umfangreiche Umbaumaßnahmen zwischen den Ohren statt. Oder wie es der Psychologe David Walsh ausdrückt: Das Gehirn Jugendlicher sei wie ein Auto „mit voll funktionstüchtigem Gaspedal, in das aber noch keine Bremsen eingebaut wurden“.

Gehirnentwicklung bis ins junge Erwachsenenalter

Dennoch ist diese Phase für Jugendliche ein wichtiger Schritt hin zum Erwachsenwerden. Im Zuge der Gehirnentwicklung wird die Struktur des Gehirns optimiert. Dabei wird vor allem die Geschwindigkeit erhöht, mit der Informationen zwischen den Hirnregionen ausgetauscht wird. Dazu werden manche Nervenfasern zu einer Art „Datenautobahn“ ausgebaut.

Bis ins junge Erwachsenenalter von etwa 25 Jahren findet ein wichtiger Reifungsprozess vor allem in einem Bereich hinter der Stirn statt. Dort befindet sich der präfrontale Cortex. Diese Hirnregion ist für höhere geistige Funktionen zuständig, also für Dinge wie Nachdenken, Planen oder Entscheiden. Auch die Impulskontrolle hat hier ihren Sitz. Wenn wir spontan Lust auf Süßes haben, uns aber aus gesundheitlichen Gründen zurückhalten, dann dürfte der präfrontale Cortex maßgeblich beteiligt sein. In dieser Region waltet die innere Stimme der Vernunft, die zur Mäßigung aufruft.

Die Lust auf Süßes hat ihren Ursprung in einem Hirnareal, das in der Jugend ebenfalls stark vom neuronalen Umbau betroffen ist. Es wird als Belohnungssystem bezeichnet und ist schon früh in der Menschheitsgeschichte entstanden. In grauer Vorzeit hat die Entwicklung des Belohnungssystems vermutlich über Leben und Tod entschieden. Denn es lenkt uns zu den Dingen, die für unser Überleben wichtig sind. Dazu gehört beispielsweise die Suche nach Nahrung. Unsere Vorfahren hatten schließlich keinen Supermarkt um die Ecke. Wer süße Früchte am Wegesrand fand, tat vermutlich gut daran, diese möglichst schnell und in großen Mengen zu verspeisen, bevor jemand anderes es tut. Denn reife Früchte liefern mit ihrem hohen Zuckergehalt jede Menge Energie.

Ungleichmäßige Entwicklung des Gehirns im Jugendalter

Der Umbau des jugendlichen Gehirns findet jedoch nicht in allen Bereichen gleichzeitig statt. Wie bei einer Wanderbaustelle werden die Regionen erst nach und nach umgebaut. Das Belohnungssystem ist eine der ersten. Erst später erreichen die neuronalen Bauarbeiten den präfrontalen Cortex. Forschende sprechen von einer asynchronen Entwicklung. Diese ist vermutlich für die gesteigerte Risikofreude Jugendlicher verantwortlich.

Die Fähigkeit, die Folgen des eigenen Handelns abzuschätzen und aufkommende Impulse zu kontrollieren, bilden sich erst im jungen Erwachsenenalter richtig aus. Jugendliche wie Tschick kümmern sich noch nicht so sehr um die Konsequenzen, weil sie ein starkes Bedürfnis haben, neue Erfahrungen zu sammeln.

Für die Entwicklung der Selbstständigkeit und zur Abgrenzung von den eigenen Eltern ist die Suche nach neuen Erfahrungen durchaus sinnvoll. Der jugendliche Leichtsinn verstärkt aber auch die Gefahr, beim Alkohol- oder sonstigem Drogenkonsum über die Stränge zu schlagen. Dabei spielt ein bestimmter Hirnbotenstoff eine wichtige Rolle: Dopamin.

Chemie der Vorfreude: Dopamin

Dopamin wird im Gehirn von den Dopaminrezeptoren ausgeschüttet. Die Ausschüttung geschieht vor allem dann, wenn eine Belohnung überraschend eintritt oder wenn Reize auftreten, die eine Belohnung ankündigen. Dopamin ist somit nicht so sehr an den positiven Gefühlen während des Konsums der Belohnung beteiligt. Die schönen Gefühle werden eher durch Serotonin und Endorphine vermittelt. Vielmehr erzeugt Dopamin die Vorfreude auf eine Belohnung und die positiven Gefühle, die mit dieser Erwartung einhergehen.

Studien legen nun nahe, dass sich der Dopamin-Haushalt im Gehirn Jugendlicher bedeutsam von dem Erwachsener unterscheidet. Im Jugendlichen Gehirn sind die Dopaminrezeptoren einerseits besonders zahlreich und die Dopaminspeicher randvoll. Andererseits ist der Dopaminpegel im jugendlichen Gehirn niedriger als bei Erwachsenen.

Werden die Dopaminrezeptoren durch einen äußeren Einfluss aktiviert, wird dann besonders viel Dopamin freigesetzt. Das hat zur Folge, dass Jugendliche stark motiviert sind, Dinge zu tun, die zu einer Dopaminausschüttung führen. Das Gehirn Jugendlicher ist daher empfänglicher für Belohnungen als das Gehirn Erwachsener.

Zwar gibt es ein komplexes Wechselspiel zwischen Drogen und dem Belohnungssystem, aber einige Untersuchungen zeigen, dass Drogen wie Alkohol, Nikotin, Cannabis oder Amphetamine in der Regel den Dopaminspiegel erhöhen und dadurch einen „belohnenden“ Effekt erzeugen.

Drogenkonsum kann die Entwicklung des Belohnungssystem beeinflussen

Tückisch ist, dass sich das jugendliche Belohnungssystem selbst noch in der Entwicklung befindet. Konsumieren Jugendliche in dieser Phase Drogen, haben die Substanzen wiederum Einfluss auf die weitere Entwicklung. Das Belohnungssystem „lernt“, dass Drogen sich gut anfühlen und „will“ mehr davon. Drogenkonsum in der Jugend erhöht somit nochmals die Empfänglichkeit des Gehirns für die Wirkung von Drogen. In Tierstudien zeigte sich dieser Effekt besonders bei männlichen Nagetieren, bei weiblichen nicht so sehr. Dies könnte auch erklären, warum mehr männliche als weibliche Jugendliche Drogen konsumieren.

Natürlich spielen auch weitere Faktoren eine Rolle, ob ein Jugendlicher einen Hang zum Rauschtrinken, Rauchen oder Kiffen entwickelt. Die Familie, der Freundeskreis, soziale Medien und andere kulturelle Einflüsse bestimmen, ob und welche Drogen probiert werden. Vor allem die Anwesenheit von Gleichaltrigen kann einen Unterschied machen. Jugendliche können in solchen Situationen besonders risikobereit sein, weil soziale Anerkennung stark belohnend wirkt.

Selbstkontrolle stärken

Können Jugendliche überhaupt davor bewahrt werden, Risiken einzugehen? Ihnen dies ausreden zu wollen, sei nach Einschätzung von Forschenden wenig erfolgversprechend. Aufgrund des biologisch gegebenen jugendlichen Leichtsinns sei das Eingehen von Risiken quasi vorprogrammiert. Eine Möglichkeit sei es, die zumindest in Ansätzen vorhandene Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu stärken. Hierzu könnten sie sich auch die Ursachen des eigenen Handelns und Fühlens stärker bewusst machen und sich gezielt auf bestimmte Risikosituationen vorbereiten, in denen impulsives Verhalten möglichst ausgebremst werden sollte.

Denn auch wenn beispielsweise das eine oder andere Bier auf einer Party durchaus normal ist, dürfen junge Menschen trotzdem lernen zu erkennen, wann es zu viel ist. Dabei helfen auch Selbsttests, wie die zu Alkohol, Cannabis, Amphetamine und Kokain auf dieser Website.

Fazit

Das Gehirn Jugendlicher gleicht einer Baustelle. Doch der Umbau findet nicht überall gleichzeitig statt. Während das Belohnungszentrum schon Fahrt aufnimmt, lässt sich die Kontrollinstanz hinter der Stirn noch etwas Zeit. Die Folge ist: Jugendliche haben die Neigung, neue, aufregende Dinge zu erleben, ohne viel über die Folgen ihres Handelns nachzudenken.

Neurobiologische Veränderungen machen das Belohnungssystem im Gehirn Jugendlicher auch empfänglicher für die Wirkung von Drogen. Drogenkonsum selbst kann wiederum zu Anpassungen des Belohnungssystems führen, die die Empfänglichkeit für Drogen nochmals erhöhen.

Alle Risiken zu vermeiden, dürfte unrealistisch sein. Doch können Jugendliche durchaus lernen, sich mit den Folgen ihres Handelns zu befassen, um sich im Falle des Falles nicht gänzlich spontanen Impulsen hinzugeben. In diesem Sinne: Check yourself!

 

Quelle:

  1. Bava, S. & Tapert, S. F. (2010). Adolescent Brain Development and the Risk for Alcohol and other Drug Problems. Neuropsychological Review, 20(4), 398-413. https://doi.org/10.1007/s11065-010-9146-6
  2. Blakemore, S.-J. & Robbins, T. W. (2012). Decision-making in the adolescent brain. Nature Neuroscience, 15 (9), 1184-1191. https://doi.org/10.1038/nn.3177
  3. Charlet, K. & Heinz, A. (2012). Pathomechanismen der Abhängigkeitserkrankungen - Funktion und Neuroanatomie des Belohnungssystems. InFo Neurologie & Psychiatrie, 14 (10), 44-53. 
  4. Ernst, M. & Luciana, M. (2015). Neuroimaging of the dopamine/reward system in adolescent drug use. https://doi.org/10.1017/S1092852915000395
  5. Galvan, A. (2010). Adolescent development of the reward system. Frontiers in Human Neuroscience, 4(6), https://doi.org/10.3389/neuro.09.006.2010.
  6. Herrndorf, W. (2010). Tschick. Rowohlt: Reinbek.
  7. Liu, C & Filbey, F. M. (2024). Unlocking the age-old secrets of reward and substance use. Pharmacology Biochemistriy and Behavior, 239, 173766. https://doi.org/10.1016/j.pbb.2024.173766
  8. Petit, G., Kornreich, C., Verbanck, P., Cimochowska, A., & Campanella, S. (2013). Why is adolescence a key period of alcohol initiation and who is prone to develop long-term problem use?: A review of current available data. Socioaffective Neuroscience & Psychology, 3, 21890. https://doi.org/10.3402/snp.v3i0.21890
  9. Walsh, D. (2014). Why Do They Act That Way? A survival guide to the adolescent brain for you and your teen. New York: Atria.

Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.