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Horror-Trip durch synthetische Cannabinoide

Juli 2015

Spice statt Cannabis? Manche Menschen sind experimentierfreudig und rauchen Kräutermischungen, die „nicht zum Verzehr geeignet“ sind. Doch der Hinweis dient in der Regel nur zur Verschleierung ihres wahren Inhaltsstoffs: synthetische Cannabinoide. Studien zeigen, dass künstlich hergestellte Cannabinoide teils deutlich stärker sind als pflanzlicher Cannabis und der Konsum gravierende Folgen haben kann.

Junger Mann mit Glaspfeife stößt Qualm aus

Bild: © Photographee.eu / Fotolia.com

Ein 23-Jähriger Mann rastet völlig aus. Er verwüstet sein Zimmer, zerschmettert eine Fensterscheibe und fügt sich selbst eine stark blutende Schnittverletzung am Hals zu. Als der Notarzt eintrifft, ist er bereits tot. In seinem Blut werden außer dem synthetischen Cannabinoid AM-2201 keine weiteren psychoaktiven Substanzen gefunden. Psychiatrische Vorerkrankung hatte er nicht.

Der Toxikologe Jeffery H. Moran und sein Team haben diesen Fall veröffentlicht, um auf die Gefahren von synthetischen Cannabinoiden hinzuweisen. Zwar reicht ein Fall nicht aus, um die Droge zweifelsfrei als Ursache für psychotische Ausbrüche zu identifizieren, zwölf weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum synthetischer Cannabinoide sowie Berichte aus Notfallambulanzen nähren jedoch die Vermutung, dass der Konsum dieser Substanzen fatale Folgen haben kann.

Forscher der Universität Amsterdam und des Trimbos Instituts in den Niederlanden haben die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Informationen zu den Risiken des Konsums synthetischer Cannabinoide gesammelt und in einem wissenschaftlichen Review ausgewertet. Ihrem Fazit zufolge verursachen synthetische Cannabinoide häufiger und gravierendere unerwünschte Effekte als pflanzlicher Cannabis.

Wirkung unvorhersehbar

Sowohl synthetische Cannabinoide als auch der Wirkstoff THC, der in pflanzlichem Cannabis enthalten ist, aktivieren die Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems in unserem Nervensystem. Die Wirkung von synthetischen Cannabinoiden kann allerdings sehr unterschiedlich sein. Manchmal fühle es sich an wie Cannabis, ein anderes Mal völlig anders, berichten Konsumierende. Woran liegt das?

Ein Grund für die unterschiedliche Wirkung ist darauf zurückzuführen, dass es sich bei synthetischen Cannabinoiden um ein unkontrolliertes und oftmals illegales Produkt handelt und sowohl Qualität als auch Quantität der enthaltenen Wirkstoffe unbekannt sind. Mit schillernden Namen werden Mixturen vermarktet, die allerlei exotische Pflanzen enthalten sollen. Ob diese Pflanzen tatsächlich drin sind, lässt sich jedoch nicht sagen. Die psychoaktive Wirkung geht ohnehin nicht von den getrockneten Kräutern aus. Vielmehr sind die Produkte mit synthetischen Cannabinoiden versetzt. Bekanntestes Beispiel für ein derartiges Produkt ist „Spice“, das im Jahr 2008 für Aufsehen gesorgt hat und 2009 verboten wurde.

Inzwischen gibt es eine Vielzahl weiterer ähnlicher Produkte, die ebenfalls mit synthetischen Cannabinoiden angereichert sind. Tests haben ergeben, dass die enthaltenen Wirkstoffkonzentrationen jedoch von Produkt zu Produkt sehr unterschiedlich sein können. Sogar Kräutermischungen derselben Marke können unterschiedlich dosiert sein. Hinzu kommt, dass die Wirkstoffe bei der Produktion offenbar nicht gleichmäßig aufgetragen werden. Die aufgenommene Wirkstoff-Dosis ist so kaum vorhersehbar.

Darüber hinaus ist nicht klar, welche Wirkstoffe enthalten sind. Synthetische Cannabinoide können sich in ihrer Wirkstärke jedoch deutlich voneinander unterscheiden. Im Vergleich zu natürlichem THC kann die Wirkung der synthetischen Cannabinoide mehr als 600-mal stärker sein. Zudem gibt es inzwischen eine kaum noch überschaubare Anzahl an synthetischen Cannabinoiden.

Unerwünschte Effekte von synthetischen Cannabinoiden

Die unerwünschten Effekte der künstlich hergestellten Cannabinoide ähneln denen von THC, aufgrund der zum Teil stark erhöhten Potenz der synthetischen Wirkstoffe hat der Konsum dieser Substanzen allerdings häufiger schwere Nebenwirkungen zur Folge.

Manche Wirkstoffe haben eine kürzere Wirkung als THC, bei anderen kann die Wirkung mehrere Stunden länger sein, als man es von THC kennt. Die häufigsten unerwünschten Nebeneffekte sind Herzrasen, starke Unruhe und Halluzinationen. Es gibt Berichte, in denen Patienten starke Brechanfälle bekommen. Bei manchen Konsumierenden sind die Effekte so stark, dass sie ein Fall für die Notaufnahme werden. Ein deutsches Forschungsteam hat Daten der Giftnotzentrale Freiburg ausgewertet und fand 48 Personen, die zwischen 2008 bis 2011 aufgrund des Konsums synthetischer Cannabinoide notfallmedizinisch behandelt werden mussten.

Viele der berichteten akuten Folgen sind auch von THC bekannt. Ein Teil der dokumentierten Folgen wurde jedoch als eher untypisch für die Wirkung von Cannabis eingestuft. Dazu zählte das Forschungsteam aggressives Verhalten, Krampfanfälle, Bluthochdruck, starke Übelkeit und Kaliummangel (Hypokaliämie). Insbesondere letzteres wurde in einem Falle als besonders schwerwiegender Notfall gewertet. Kalium ist wichtig für viele Körperfunktionen. Bei Kaliummangel können Müdigkeit und Muskelschwäche bis hin zu Herzrhythmusstörungen auftreten.

Das Forschungsteam geht davon aus, dass die für Cannabis untypischen Symptome Folge des Konsums synthetischer Cannabinoide sind. Insbesondere JWH-122 und JWH-210 seien „extrem potente“ synthetische Cannabinoide. Seit Juli 2012 sind diese Substanzen dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt worden.

Psychose häufige „Nebenwirkung“

Im Gegensatz zu Cannabis enthalten Kräutermischungen à la Spice & Co. kein Cannabidiol, abgekürzt CBD. CBD hat in Cannabis keine psychoaktive Wirkung, es kann aber den Rausch, der durch THC erzeugt wird, abmildern. CBD wird zudem eine gewisse Schutzfunktion gegen psychotische Effekte zugesprochen. Konsumierende fühlen sich dann eher entspannt bis schläfrig. Fehlt CBD, wie bei bestimmten hochpotenten Cannabissorten, wird der Rausch deutlich intensiver und halluzinogener.

Durch das Fehlen von CBD in synthetischen Cannabinoiden fehlt auch dessen Schutzfunktion vor psychotischen Effekten. Dies könne psychotische Episoden bei hierfür empfänglichen Personen auslösen, vermutet das niederländische Forschungsteam in ihrem Review. Zwar ist der Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose noch nicht abschließend geklärt, Studien weisen aber darauf hin, dass Konsumierende mit einer Vorliebe für hochpotenten Cannabis ein bis zu 5-fach erhöhtes Risiko für eine Psychose haben, als Personen, die noch nie gekifft haben.

Die bisher für synthetische Cannabinoide vorliegenden Berichte deuten darauf hin, dass eine so genannte drogeninduzierte Psychose, auch bekannt als Horror-Trip, tatsächlich öfter vorkommt. Demnach treten akute Angstzustände mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen bei elf Prozent der Konsumierenden von synthetischen Cannabinoiden auf, wohingegen dies nur auf zwei Prozent der Cannabiskonsumierenden zutrifft. Vor allem unerfahrene Konsumentinnen und Konsumenten seien gefährdet.

Fazit

Synthetische Cannabinoide können um ein Vielfaches stärker wirken als pflanzlicher Cannabis. Besonders problematisch ist die unbekannte Zusammensetzung und Dosierung von Produkten, die synthetische Cannabinoiden enthalten. Die bisherigen Erkenntnisse zum Thema legen den Schluss nahe, dass derartige Produkte von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Der beim Konsum hervorgerufene Rauschzustand kann ähnlich sein wie beim Konsum von THC oder auch völlig anders, oft aber viel stärker.

Durch die erhöhte Potenz von synthetischen Cannabinoiden und dem Fehlen von Cannabidiol steigt auch das Risiko für Psychosen. So scheinen psychotische Angstzustände sehr viel häufiger beim Konsum von synthetischen Cannabinoiden aufzutreten als beim Konsum von pflanzlichem Cannabis.

Quellen:
Patton, A. L., Chimalakonda, K. C., Moran, C. L., McCain, K. R., Radominska-Pandya, A., James, L. P., Kokes, C. & Moran, J. H. (2013). K2 Toxicity: Fatal case of psychiatric complications following AM-2201 exposure. J Forensic Sci, 58(6), 1676-1680.
Van Amsterdam, J., Brunt, T. & van den Brink, W., (2015). The adverse health effects of synthetic cannabinoids with emphasis on psychosis-like effects. Journal of Psychopharmacology, 29(3), 254-263.


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