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"Wie viel bringt das Programm?"

September 2010

Seit August 2004 können sich Cannabiskonsumierende, denen das Kiffen über den Kopf gewachsen ist, anonym und online im Beratungsprogramm „Quit the Shit“ unterstützen lassen. Die Erfahrungen zeigen, dass jeder Konsument und jede Konsumentin eine individuelle Vorgeschichte mitbringt. Einige wissen genau, was sie wollen, manche sind sich zu Beginn noch nicht ganz sicher: „Könnte ‚Quit the Shit‘ etwas für mich sein?“ oder „Kann ich teilnehmen, obwohl ich mir gar nicht sicher bin, ganz auf das Kiffen zu verzichten?“ Auch die Frage, ob so ein Online-Programm überhaupt helfen kann, mag sich der eine oder die andere stellen. Reglinde, Beraterin im drugcom-Team, hat sich im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit mit vielen dieser Fragen auseinandergesetzt und steht deshalb im aktuellen drugcom-Interview Rede und Antwort.

Drugcom: Reglinde, du bist seit sechs Jahren Beraterin beim drugcom-Team und hast viele Erfahrungen mit dem Programm „Quit the Shit“ sammeln können. Einige potentielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fragen sich möglicherweise: „Ist das was für mich?“ Ich würde daher gerne mögliche Fälle skizzieren und schauen, was du diesen Personen mit auf den Weg geben kannst. Fall 1: „Ich bin 18 Jahre alt und meine Mutter hat mich beim Kiffen erwischt. Sie regt sich darüber auf und sagt, ich solle eine Therapie machen, um davon wegzukommen. Da ist sie auf ‚Quit the Shit‘ gestoßen.“ Ist „Quit the Shit“ geeignet für diesen 18-Jährigen?

Reglinde: Das ist ein sehr interessanter Fall, weil er nicht so typisch ist. Es kommt durchaus vor, dass Leute von anderen, zum Beispiel von der Mutter oder der Partnerin geschickt werden, aber es ist nicht das Übliche. Die Frage, die sich für mich erst einmal stellt, ist, was für ein Interesse derjenige selbst an dem Programm hat. Hat er das Gefühl, dass er ein Problem mit dem Kiffen hat, dass er seine Ausbildung oder sein Studium nicht mehr schafft und dass sein Leben „den Bach runtergeht“ und sich was ändern muss?

Drugcom: Der Jugendliche muss also selbst erkennen, dass er Hilfe nötig hat.
 

Der Wille zur Veränderung ist die Grundlage.
 

Reglinde: Genau. Er muss in erster Linie selbst etwas verändern wollen, das ist die Grundlage für die Teilnahme am Programm.

Drugcom: Wie ist es mit diesem Fall: Ein Lehrling wird beim Kiffen erwischt und der Ausbilder verlangt, dass er eine Therapie macht. Der Lehrling kifft aber nur hin und wieder. Es besteht wahrscheinlich relativ wenig Eigenmotivation. Ist in diesem Fall „Quit the Shit“ eher ungeeignet?

Reglinde: Das kommt drauf an: Wenn klar ist, dass er den Ausbildungsplatz verliert, sobald er wieder beim Kiffen erwischt wird, dann kann die Eigenmotivation doch sehr hoch sein - obwohl der Antrieb eine Fremdmotivation durch den Ausbilder war. Es melden sich bei „Quit the Shit“ auch Leute an, die unsicher sind, was das Programm angeht, aber auch unsicher, was das Kiffen angeht: Will ich ganz aufhören oder will ich nur mal Pause machen? Zu Beginn des Programms machen wir immer einen Aufnahmechat. Der dauert eine Stunde, und es können dort genau solche Fragen geklärt werden. Passt das Programm für mich? Ist eine andere Hilfe für mich sinnvoller, z. B. eine stationäre Therapie? Was kann ich mir vorstellen zu verändern?

Drugcom: Kommt es auch vor, dass du jemandem sagen musst: „Du bist nicht ausreichend motiviert? Du kannst nicht teilnehmen?“

Erfahrungsbericht einer ehemaligen Teilnehmerin von Quit the Shit

Reglinde: Nach dem Gespräch habe ich öfter das Gefühl, dass ich noch nicht verstanden habe, was derjenige oder diejenige erreichen will und ob er oder sie wirklich etwas verändern möchte. Dann vereinbaren wir noch eine Woche Bedenkzeit ohne Programmeinstieg. In dieser Woche können wir beide nochmal über das Gespräch nachdenken. Manchmal sind die Fragen, die ich stelle, vielleicht auch ungewohnt, weil man noch nicht darüber nachgedacht hat.

Drugcom: Was sind das für Fragen?

Reglinde: Zum Beispiel: „Was stört im Alltag?“ oder „Wie viel kiffst du genau?“ - Das wissen viele gar nicht. Da kann man dann z. B. eine Woche lang protokollieren, wie viel man kifft, was die Auswirkungen sind, welche Vor- und Nachteile es dabei gibt - und dann kann man im zweiten Chat noch mal gucken, wie es aussieht. Manche melden sich dann gar nicht wieder, andere sagen, dass es doch nicht das Richtige für sie ist und manche sagen auch: „Ja, jetzt mach ich das.“

Drugcom: Gibt es ein Mindestmaß an Konsum, sprich: Wie viel muss man gekifft haben, um bei „Quit the Shit“ „eingelassen“ zu werden?
 

Der persönliche Leidensdruck ist entscheidend.
 

Reglinde: Es gibt kein Mindestmaß. Entscheidend ist der persönliche Leidensdruck. Also die Frage: „Worunter leide ich genau und wie beeinflusst das Kiffen mein Leben? Inwiefern verhindert das Kiffen, dass ich mein Leben so führen kann, wie ich gern möchte?“ Da ist es dann unerheblich, ob wenig oder viel gekifft wird, sondern wo und wen es stört oder wie groß die Konsequenz ist, die das Kiffen mit sich bringt. So kann man, wie in dem oben erwähnten Fall, bei wiederholtem Kiffen den Ausbildungsplatz verlieren. Oder bei Jugendlichen, die in betreuten WGs wohnen: Dort ist ganz klar Abstinenz gefordert und wenn diese nicht eingehalten wird, müssen sie aus ihrer WG ausziehen. Es melden sich auch Leute an, die schon eine Zeit nicht mehr gekifft haben, aber immer noch das innere Bedürfnis verspüren, es zu tun und sich deshalb nicht sicher sind, die Abstinenz weiter durchhalten zu können.

Drugcom: Man kann also nicht sagen: Wenn ich so und so oft gekifft habe, bin ich ein Fall für „Quit the Shit“, sondern es sind eher individuelle Gründe, die zum Programm führen.

Reglinde: Wir erleben es oft so, dass viele ihren Konsum unterschätzen. Erst wenn sie protokollieren, wie oft und wie viel sie kiffen, sind sie erstaunt, was da für Mengen zusammenkommen.
 

Ausstieg oder Reduzieren?
 

Drugcom: Das Programm heißt ja „Quit the Shit“, übersetzt „Aufhören mit dem Kiffen“. Auf der Website selbst wird aber gar nicht so explizit benannt, dass man aufhören muss. Wie siehst du das? Es wird im Aufnahmechat ja ein Ziel vereinbart, ist das Ziel denn immer das Aufhören?

Erfahrungsbericht eines ehemaligen Teilnehmers von Quit the Shit

Reglinde: Ich frage immer direkt bei dem Teilnehmer oder der Teilnehmerin nach. Meistens meldet man sich ja bei so einem Programm an, weil man etwas Bestimmtes erreichen will. Oft haben die Teilnehmenden ganz klare Vorstellungen. Die meisten sagen ganz deutlich, dass sie aufhören wollen. Manche möchten auch, dass das Kiffen wieder etwas Besonderes wird, was sie hin und wieder tun möchten. Aber wenn man mit diesen Personen dann ins Gespräch kommt und genau nachfragt, kommt raus, dass sie das schon oft versucht haben. Sie haben aufgehört und dann ausnahmsweise wieder gekifft. Bis sie mindestens wieder genauso viel kiffen wie vorher, dauert es höchstens ein paar 3 Tage. Wenn man sich das noch mal gemeinsam vor Augen führt, sagen viele: „Eigentlich weiß ich ja, das das nicht funktioniert.“ Aber es gibt auch die Leute, die probieren, kontrolliert zu kiffen und das auch hinkriegen.

Drugcom: Du gehst also individuell vor. Je nach Vorgeschichte rätst du zur Abstinenz oder zum kontrollierten Konsum.

Reglinde: Es gibt auch Konsumenten, die sagen: „Ganz aufzuhören kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Dann sagen wir: „Okay, wie wäre es, erst einmal 50 Tage Pause zu machen?“ Das ist die Zeit, die das Programm dauert - ein überschaubarerer Rahmen. Man weiß ungefähr, wie das sein wird. Und in den sieben Wochen kann man mithilfe des Programms merken, wie es ist ohne das Kiffen. Was verändert sich, welche Erfahrungen mache ich? Und man kann dadurch, dass man klarer ist, auch klarere Entscheidungen treffen.

Drugcom: Beim Ausstieg aus dem Rauchen von Zigaretten heißt es ja, dass dieser einfacher ist als das Reduzieren. Ist es bei Cannabis auch so?

Reglinde: Ja, man denkt es oft nicht, aber der Ausstieg ist einfacher. Es fängt ja schon damit an, dass du einfach nichts mehr zu Hause hast. Und damit eliminierst du schon die größte Risikosituation. Es gibt auch Personen, die haben wenig konsumiert und auch wenige Einschränkungen durch das Kiffen in ihrem Leben. Für diejenigen ist ein kontrollierter Konsum denkbar und möglich, allerdings ist es fraglich, ob es über Jahre funktioniert.
 

Wenn schon seit Jahren täglich gekifft wird
 

Drugcom: Kommen wir zu einem weiteren von mir ausgedachten Fall: Ich bin 30 Jahre alt und kiffe bereits seit 15 Jahren, die letzten Jahre fast täglich. Ich fühle mich mittlerweile schon recht abhängig davon, was ich daran merke, dass ich schon mal versucht habe aufzuhören, mir das aber nicht gelungen ist. Kann ein Online-Programm wie „Quit the Shit“ da noch helfen?

Erfahrungsbericht eines ehemaligen Teilnehmers von Quit the Shit

Reglinde: Das ist eigentlich ein recht typischer Fall und unsere Erfahrung sagt, dass das Programm hier funktioniert. Aber auch hier kommt es darauf an, welche Motivation und welches Potential diejenigen mitbringen. Was haben sie aus den Versuchen, mit dem Kiffen aufzuhören, gelernt? Wie stark sind die Entzugserscheinungen? Können sie mit ihnen umgehen? Wie unterstützend ist das Umfeld? Solche Fragen müssen in dem ersten Gespräch geklärt werden. Wenn z. B. jemand nach 3 Stunden ohne zu kiffen so depressiv wird, dass er Gefahr läuft, sich etwas anzutun, dann ist ein Online-Programm für ihn nicht das Richtige. So jemandem würde ich auf jeden Fall einen stationären Entzug empfehlen. Dort ist ein Arzt anwesend und er wird rund um die Uhr betreut. Wenn jemand sagt: „Entzugserscheinungen kenn ich, es ist schwierig, aber ich hab immer mal eine Woche geschafft, dann bin ich wieder rückfällig geworden, weil ich mich mit meinen Kumpels getroffen habe“, dann kann ich sagen: „Der hat das Potential, schon mal eine Woche durchzuhalten, da ist zwar noch viel zu tun, aber die Basis ist da.“ Wir fragen auch noch nach psychischen Beschwerden: Gibt es große Ängste, Depressionen, gibt es irgendwelche Erfahrungen, die in den psychotischen Bereich gehen, wie z. B. Wahnvorstellungen? Das muss dann von einem Arzt begleitet werden. Wenn man schon viele Versuche hatte, die erfolglos waren, dann heißt das nicht, dass man immer erfolglos bleiben wird. Das denken viele: „Wenn ich es 4-mal nicht geschafft habe, dann wird es beim 5. Mal erst recht nichts.“ Eigentlich ist es eher das Gegenteil, weil man bei den ersten Malen viele Erfahrungen macht, die einem dann beim nächsten Mal nützen, z. B. die Erfahrung, dass ich, wenn ich die Kumpels treffe, gleich wieder im alten Muster drin bin. Diese Erfahrung hilft mir dann zu sagen: Dieses Mal mache ich es anders. Und da hilft das Programm, gezielt Risikosituationen herauszuarbeiten.

Drugcom: Wenn ich das nochmal zusammenfasse: Es gibt also keinen Grund, warum der von mir erfundene „Hardcore-Kiffer“ nicht am Programm teilnehmen könnte. Im Einzelfall schaut ihr dann individuell nach dem persönlichen Potential und besprecht das im Chat. Aber es gibt auch Gründe wie z. B. starke Depressionen, Suizidgedanken oder Psychosen, die konkret tägliche Unterstützung erfordern. Da kann dann ein Onlineprogramm allein nicht helfen. Gibt es auch Leute, die schon in Behandlung sind und trotzdem noch an „Quit the Shit“ teilnehmen?
 

„Quit the Shit“ und Psychotherapie?
 

Reglinde: Das kommt hin und wieder vor. Es gibt z. B. Konsumenten, die eine Psychotherapie machen, in der Kiffen nicht so eine Rolle spielt. Dort rät z. B. die Therapeutin oder der Therapeut dazu, noch zusätzlich etwas zu machen.

Drugcom: Und da gibt es dann keinen Konflikt?

Reglinde: Wir nehmen nur Leute auf, wenn deren Therapeut damit einverstanden sind.

Drugcom: Da seid ihr aber von den Aussagen der Klienten und Klientinnen abhängig. Ich nehme an, ihr sprecht dann nicht mit den Behandlern?

Reglinde: Nein, das tun wir nicht. Aber man merkt schon, ob es Hand und Fuß hat, was der Klient sagt. Es gibt aber auch den anderen Fall: Jemand ist bei „Quit the Shit“ und dann stellt sich heraus, dass es sinnvoll wäre für ihn, sich noch zusätzlich Unterstützung zu holen. Wenn die Konsumenten aufhören zu kiffen, stellt sich eventuell heraus, dass Depressionen dazu geführt haben, dass so viel gekifft wurde. Da ist dann „Quit the Shit“ nicht ausreichend, die Depressionen müssen mit Psychotherapie behandelt werden. Es ist auch so, dass viele Probleme viel klarer werden, wenn man aufhört zu kiffen, denn viele Personen kiffen ja, um bestimmte Probleme zu vergessen. Und wenn man aufgehört hat, muss man sich z. B. eine andere Arbeit suchen oder eine andere Wohnung oder zur Studienberatung gehen, damit man das Studium abschließen kann.

Drugcom: Da kann also eine ganze Menge ausgelöst werden, was über das Kiffen noch hinausgeht. Probleme des Alltags beispielsweise, die dann offenkundig werden.

Reglinde: Das Kiffen erfüllt ja zumeist eine Funktion im Leben. Ich kiffe, damit ich mich nicht so einsam fühle. Ich kiffe, damit ich meine Gefühle scheinbar unter Kontrolle habe. Ich kiffe, damit ich bestimmte Sachen nicht so merke. Diese Funktion des Kiffens kann man im Laufe des Programms ersetzen. Zum Beispiel: Ich kiffe, um mich zu entspannen. Dann kann ich im Programm schauen, was ich stattdessen für Möglichkeiten habe, um mich zu entspannen.

Drugcom: Es gibt ja im Programm verschiedene Übungen, mit denen sich die Klientinnen und Klienten befassen können, z. B. sich mit Risikosituationen auseinanderzusetzen oder sich mit der vielleicht noch widerstrebenden Motivation beschäftigen: „Soll ich aufhören oder nicht?“ Werden diese Onlineübungen genutzt, wie schätzt du das ein?
 

Was das Programm bewirken kann.
 

Grafik mit Ergebnisse zur Weiterempfehlung

Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Quit the Shit sind zufrieden mit der Beratung und würden es weiterempfehlen. (Quelle: Jahresbericht 2009)

Reglinde: Es wird auf jeden Fall genutzt. Es ist aber sowieso sehr unterschiedlich, wie die Leute das Programm nutzen. Ich werde auch oft im Aufnahmechat gefragt: „Wie viel bringt das Programm?“ Die Frage ist eher, wie viel jemand investiert. Je mehr jemand mit dem Programm arbeitet, umso höher ist auch der Nutzen von dem Programm. Wie hoch die Wirksamkeit ist, hängt damit zusammen, wie intensiv ich mich damit auseinandersetze. Das kann dann halt sehr unterschiedlich sein. Das Tagebuch zum Beispiel „fordert“ ja, dass man sich täglich damit auseinandersetzt. Das heißt, man nimmt sich täglich Zeit, um sich mit dem Tag auseinanderzusetzen, um Protokoll zu führen, um sich damit auseinanderzusetzen. Wer jeden der 50 Tage, die das Programm dauert, das Tagebuch nutzt, erfährt viel über sich, seine Motivation und seine Probleme und Strategien. Je besser das Tagebuch geführt wird, umso besser können wir als Beratende einschätzen, wo die Probleme liegen und können so viel gezielter Tipps geben. Bei den Übungen ist das genauso. Unsere Erfahrung ist, dass es Klienten gibt, die das Programm sehr intensiv nutzen und damit auch die Übungen. Und dass es Klienten gibt, die das Programm eher wenig nutzen und dann auch in die Übungen nicht so reingucken. Wir schauen ganz gezielt bei jedem Fall, was für eine Übung jetzt sinnvoll ist und schalten diese dann frei. Ist zum Beispiel jemand noch sehr unsicher, was für das Kiffen und was dagegen spricht, dann kann man eine Übung machen, in der man die Vor- und Nachteile auflisten kann und einfach mal sammeln und gewichten.

Drugcom: Du bist ausgebildete Psychotherapeutin und kennst auch die Vor-Ort-Situation mit einem Klienten. Wenn du das vergleichst: mit jemandem ein Gespräch zu führen von Angesicht zu Angesicht oder über die Tastatur und den Bildschirm, wo liegen da die Vor- und Nachteile des Onlineprogramms?
 

Sich nicht zu sehen ist auch ein gewisser Schutz.

 

Reglinde: Viele denken natürlich sofort daran, dass man den anderen nicht sieht. Das ist natürlich auch so. Aber ich habe im Online-Kontakt das Gefühl, dass die Leute sehr ehrlich sind und schnell zu dem Punkt kommen, der wichtig ist, weil man im Gespräch nicht das Gefühl hat, dass man den Schein wahren oder sich darstellen müsste. Die Tatsache, dass man sich nicht sieht, bietet ja einen gewissen Schutz, auch Probleme anzusprechen, über die man bisher noch mit niemandem gesprochen hat. Man wird auch nicht gesehen, wie man in ein Gebäude geht oder hinauskommt, man trifft niemanden zufällig, der einen nicht sehen soll - so bietet es eine gute Möglichkeit, bestimmte Themen anzusprechen.

Drugcom: Dann möchte ich zum Abschluss noch eine Frage stellen, die sicherlich schon während unseres Gesprächs angerissen wurde: Gibt es ein Rezept, das Programm erfolgreich abzuschließen? Was sind die wichtigsten Dinge, die man mitbringen muss?
 

Rückschläge sollte man als normal betrachten.
 

Reglinde: Der allerwichtigste Punkt ist Durchhaltevermögen und das Programm wirklich zu machen. Selbst wenn es zwischendurch schlechte Phasen gibt und man das Gefühl hat, dass es Rückschläge gibt, sollte man nicht einfach nichts mehr tun und aufgeben, sondern in jedem Fall dranbleiben und weitermachen. Rückschläge oder Ausrutscher oder schlechte Phasen sind ganz typisch für den Ausstieg aus der Sucht. Wenn es einfach wäre, aufzuhören, dann würde es ja die ganzen Suchtberatungsstellen und Programme nicht geben. Es ist ganz normal, dass man zwischendrin wieder vermehrt ans Kiffen denkt, dass man Freunde trifft und was angeboten kriegt und mit diesen Situationen dann umgehen muss. Auch wenn man eine Woche völlig ausgestiegen ist und wieder im alten Konsum war, sollte man dann weitermachen und von da an das Tagebuch weiterführen und sich wieder melden. Wir haben auch selbst eine Studie gemacht, wie wirksam das Programm ist. Und klar war: Wer das Programm bis zum Schluss durchzieht, profitiert wirklich davon. Es ist eine sehr gute Voraussetzung, wenn jemand über seinen Schatten springt und nach einer Unterbrechung weitermacht. Es fliegt auch niemand aus dem Programm raus, weil er gesagt hat, er kifft 50 Tage nicht und tut es dann doch. Ganz und gar nicht, denn es geht ja gerade darum herauszufinden, was war das für eine Situation, wie kam es dazu und wie kann man verhindern, dass es wieder passiert.

Drugcom: Wenn jemand also erfolgreich teilnehmen will, sollte er sich klarmachen: Je mehr ich mich einbringe und nach Rückschlägen weitermache, umso mehr kann ich aus dem Programm mitnehmen.

Reglinde: Ich begreife den Beratungsprozess als Dialog. Es ist ja nicht so, dass wir die ultimativen Tipps und Tricks haben, die für jeden passen. Jeder Ausstiegsprozess hat eine ganz eigene Geschichte. Natürlich haben wir unsere Erfahrungen, was gut und was nicht so gut funktioniert, aber trotzdem heißt es nicht, dass es nur diesen einen Weg gibt. Und mir ist es wichtig, dass man miteinander ins Gespräch kommt. Wenn ich Empfehlungen gebe und der Klient es ausprobiert und eine Rückmeldung gibt, wie er damit klargekommen ist, dann kann ich wieder darauf reagieren und gegebenenfalls Alternativen anbieten. Es ist gut, miteinander daran zu arbeiten und ein Ziel zu haben und dann guckt, wie kann man den Weg dahin gehen.

Drugcom: Vielen Dank für das Gespräch!

 


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