Einfluss von Cannabis auf die Entwicklung der Großhirnrinde

04.08.2021

Die einen sind abstinent geblieben, die anderen haben angefangen zu kiffen. In einer Studie wurde im Abstand von fünf Jahren untersucht, welchen Einfluss Cannabiskonsum auf die Gehirnentwicklung Jugendlicher hat.

Bild: Feodora Chiosea / istockphoto.com

Unser Gehirn schrumpft. Das ist ein normaler Prozess während es heranreift. Neugeborene haben etwa genauso viele Nervenzellen wie Erwachsene. Die kleinen grauen Zellen müssen sich aber noch zu einem effizienten Netzwerk verschalten. Nicht alle Nervenzellen werden dafür benötigt. Daher wird ein Teil wieder abgebaut. Vor allem die Großhirnrinde, auch Cortex genannt, ist davon betroffen. Zwar wächst das Gehirn insgesamt, die Großhirnrinde wird im Laufe seiner Entwicklung aber dünner.

In der Phase der Jugend finden wichtige Umbaumaßnahmen in Hirnregionen statt, die für die Kontrolle von impulsivem Verhalten und planerischem Handeln wichtig sind. Studien zufolge spielt das Endocannabinoid-System dabei eine Rolle. Könnte der Cannabiswirkstoff THC die Gehirnentwicklung bei Jugendlichen womöglich beeinflussen, wenn diese kiffen? In einer Kohortenstudie ist ein internationales Forschungsteam dieser Frage auf den Grund gegangen.

Studienleiter Matthew Albaugh und sein Team haben dazu rund 800 Jugendliche mit Hilfe eines speziellen bildgebenden Verfahrens, der Magnetresonanztomographie (MRT), untersucht. Dieses Verfahren kann die feinen Strukturen des Gehirns sichtbar machen. An acht Standorten in Europa wurden die Jugendlichen zwei Mal im Abstand von 5 Jahren in die „Röhre“ geschoben. Mit Hilfe des MRTs konnte das Forschungsteam die Dicke der Großhirnrinde ermitteln.

Im Alter von 14 Jahren wurden die Jugendlichen erstmals untersucht. Keiner der Jungen und Mädchen hatte zu dem Zeitpunkt schon mal gekifft. Fünf Jahre später wurden die dann 19-Jährigen erneut im MRT untersucht. Fast die Hälfte der Jugendlichen hatte in der Zwischenzeit Erfahrung mit Cannabis gemacht.

Stärkere cortikale Ausdünnung bei Cannabiskonsum

Der Vorher-Nachher-Vergleich hat gezeigt: Bei den jungen Erwachsenen, die als Jugendliche angefangen haben, Cannabis zu konsumieren, war die Großhirnrinde dünner als bei Gleichaltrigen, die cannabisabstinent geblieben sind. Dieser Zusammenhang war dosisabhängig. Das bedeutet: Je mehr die jungen Menschen gekifft haben, umso dünner war die Großhirnrinde mit 19 Jahren.

Denkbar wäre, dass Cannabiskonsumierende schon mit 14 Jahren eine dünnere Großhirnrinde hatten. Dies war jedoch nicht der Fall. Nach Einschätzung des Forschungsteams spricht dies dafür, dass der Cannabiskonsum Einfluss hat auf die Entwicklung der Großhirnrinde.

Ein weiteres Detail unterstützt die Vermutung, dass Cannabis in die Gehirnentwicklung eingegriffen hat. Aus früheren Studien ist bekannt, in welchen Regionen der Großhirnrinde die Dichte der Cannabinoid-Rezeptoren besonders hoch ist. Genau in diesen Regionen war der Effekt der cortikalen Ausdünnung bei den Jugendlichen am stärksten ausgeprägt.

Zusammenhang zwischen erhöhter Impulsivität und dünnerem präfrontalem Cortex

Eine dünnere Großhirnrinde wurde insbesondere im Bereich des präfrontalen Cortex gemessen. Diese Region gilt als wichtige Instanz für höhere Denkleistungen wie die Verhaltenskontrolle. Tatsächlich hat das Forschungsteam einen Zusammenhang gefunden, zwischen der verstärken Ausdünnung im Bereich des präfrontalen Cortex und einer erhöhten Impulsivität unter den Jugendlichen, die angefangen haben, Cannabis zu konsumieren.

Frühere Rattenexperimente hätten nach Angaben des Forschungsteams aufzeigen können, dass der Wirkstoff THC den Prozess der neuronalen Reifung nachhaltig stört: Nervenzellen reifen zu früh, Verbindungen zwischen den Nervenzellen bilden sich zurück. Die Ergebnisse in ihrer aktuellen Studie mit Jugendlichen würden dafürsprechen, dass beim Menschen die gleichen neurobiologischen Mechanismen greifen wie bei den Nagetieren. Der verstärkte Rückgang von Nervenzellen sei eine mögliche Erklärung für die schlechteren kognitiven Leistungen von Jugendlichen, die früh in das Kiffen eingestiegen sind.

 

Quelle:

Albaugh, M. D., Ottino-Gonzalez, J., Sidwell, A., Lepage, C., Juliano, A. Owens, M. M., Chaarani, B., Spechler, P., Fontaine, N. Rioux, P., Lewis, L., Jeon, S., Evans, A., D’Souza, D., Radhakrishnan, R., Banaschewski, T., Bokde, A. L. W., Burke Quinlan, E., Conrod, P., Desrivières, S., Flor, H. Grigis, A., Gowland, P., Heinz, A., Ittermann, B., Martinot, J.-L., Paillère Martinot, M.-L., Nees, F., Papadopoulos Orfanos, D., Paus, T., Poustka, L., Millenet, S., Fröhner, J. H., Smolka, M. N., Walter, H., Whelan, R., Schumann, G., Potter, A., & Garavan, H. (2021). Association of Cannabis Use During Adolescence With Neurodevelopment. JAMA Psychiatry, doi:10.1001/jamapsychiatry.2021.1258.


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