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Wie schädlich ist Cannabiskonsum für das Gehirn junger Menschen?

Dezember 2020

Diese Frage hat die Wissenschaft noch nicht zweifelsfrei klären können. Doch der Ausstieg aus dem regelmäßigen Kiffen lohnt sich in jedem Fall.

Bild: Natali_Mis / istockphoto.com

Am 1. Oktober 2011 war erst einmal Schluss. Zuvor konnten alle Personen über 18 Jahren legal Cannabis in niederländischen Coffee-Shops kaufen. In der Stadt Maastricht gab es jedoch Widerstände gegen den „Drogentourismus“ aus angrenzenden Ländern. Nach einer neuen Verordnung der lokalen Behörden war es fortan nur noch Personen mit einem niederländischen, deutschen oder belgischen Pass erlaubt, Coffee-Shops in Maastricht zu betreten. Personen anderer Nationalität, beispielsweise aus Frankreich oder Luxemburg, mussten draußen bleiben.

Die Forscher Olivier Marie und Ulf Zölitz nutzten die Gelegenheit als eine Art „natürliches Experiment“. Denn an der Universität Maastricht sind üblicherweise viele Studierende unterschiedlicher Herkunft eingeschrieben, von denen ein Teil plötzlich keinen Cannabis mehr legal erwerben konnte.

Verbesserte Noten nach Cannabisverkaufsverbot

Marie und Zölitz schauten sich die Leistungen der Studierenden vor und nach Einführung der neuen Verordnung an. Dabei stellten sie bedeutsame Veränderungen fest. Für Studierende, denen der Zutritt zu Coffee-Shops verwehrt war, stieg die Wahrscheinlichkeit, einen Kurs zu bestehen, um durchschnittlich 5 Prozent.

Insbesondere Studentinnen sowie jüngere und leistungsmäßig schwächere Studierende haben sich verbessert. Die Verbesserungen waren größer in Kursen, die numerische oder mathematische Fähigkeiten erforderten. Befragungen der Studierenden legten nahe, dass die Leistungsverbesserung mehr auf einem besseren Verständnis der im Kurs behandelten Themen beruhte als auf fleißigeres Lernen. Zum Vergleich hat sich das Team auch die Leistungen belgischer Studierender angeschaut, die weiterhin Cannabis kaufen konnten. Ihre Leistungen hatten sich nicht verändert.

Einschränkend deuten die Forscher an, dass die Studierenden Cannabis natürlich noch über andere Wege erwerben könnten. Auch geht aus der Studie nicht hervor, ob und in welchem Maße die Verkaufsbeschränkung den Cannabiskonsum tatsächlich reduziert hat. Die Studie liefert aber zumindest Hinweise, dass sich Kiffen ungünstig auf die geistigen Leistungen auswirken könnte.

Gehirnentwicklung bis ins junge Erwachsenenalter

Schon seit längerem besteht der Verdacht, dass Cannabis das Gehirn junger Menschen schädigen könnte und dies schlechtere Denkleistungen zur Folge hat. Denn die Reifung des Gehirns ist nicht mit Ende der Kindheit, sondern erst im jungen Erwachsenalter weitestgehend abgeschlossen. Insbesondere in der Pubertät finden wie auf einer Großbaustelle umfangreiche Umbaumaßnahmen im Gehirn statt.

Neue Verbindungen werden geknüpft und überschüssige Nervenzellen abgebaut. Nervenzellen werden auch als graue Substanz bezeichnet, weil ihre Zellkörper gräulich wirken. Ebenso wichtig wie die Entwicklung und Vernetzung von Nervenzellen ist die Ausbildung der so genannten Myelin-Scheide. Myelin ist eine weiße Schicht, die aus Fetten und Proteinen besteht, und sich wie ein Mantel um Nervenfasern wickelt. Myelinisierte Nervenbahnen verbessern die Signalübertragung und erhöhen dadurch die kognitiven Fähigkeiten. Myelinisierte Nerven werden auch als weiße Substanz bezeichnet.

Wenn Jugendliche regelmäßig Cannabis konsumieren, so die Vermutung, könnte der pflanzliche Wirkstoff THC die Reifung der grauen und weißen Substanz stören. Denn an der Gehirnentwicklung sind bestimmte Rezeptoren beteiligt, die zum Endocannabinoid-System gehören. Der Mensch produziert körpereigene Substanzen, die als Endocannabinoide bezeichnet werden. THC ähnelt diesen Substanzen. Es bindet an den Endocannabinoid-Rezeptoren und könnte so die Gehirnentwicklung beeinflussen.

Ob dies bei kiffenden Jugendlichen der Fall ist und welche Auswirkungen sich zeigen, dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen. Studienleiter Wayne Hall und seine Forschungskollegin Valentina Lorenzetti, beide in Australien tätig, haben sich gemeinsam mit Eva Hoch aus Deutschland einen Überblick verschafft und relevante Studien der letzten zehn Jahre gesichtet. In vielen Fällen wurden Jugendliche mit und ohne Cannabiskonsum im Rahmen so genannter Fall-Kontroll-Studien miteinander verglichen. Konsumierende bildeten die „Fälle“, abstinente Jugendliche die Kontrollgruppe. Teils wurden auch Konsumierende, die früh als Jugendliche angefangen haben zu kiffen, mit Späteinsteigern verglichen.

Gehirnveränderungen und Intelligenzminderung durch Cannabis?

Die Befundlage ist nach Einschätzung von Hall und seinem Team aber gemischt. Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Gehirne von Jugendlichen, die schon regelmäßig Cannabis konsumieren, strukturelle Unterschiede im Vergleich zu abstinenten Jugendlichen aufweisen. Beispielsweise konnte bei Cannabiskonsumierenden ein verkleinerter Hippocampus nachgewiesen werden. Der Hippocampus ist eine wichtige Region für die Speicherung neuer Gedächtnisinhalte.

Auch wurden Veränderungen in Regionen gefunden, die wichtig sind für geistige Leistungen wie die Aufmerksamkeit oder die Kontrolle von Impulsen. Jedoch können die Studien nicht gänzlich klären, ob diese Veränderungen eine Folge des Konsums sind oder nicht schon vor dem Konsum vorhanden waren. So gibt es auch Studien, denen zufolge bestimmte strukturelle Unterschiede im Gehirn mit späterem Cannabiskonsum zusammenhängen. Das heißt, eine Neigung zum Cannabiskonsum wäre gewissermaßen im Gehirn „einprogrammiert“.

Einige der methodischen Probleme bei Fall-Kontroll-Studien können durch Kohortenstudien umgangen werden. Bei diesem Studientyp wird eine größere Gruppe von Personen, eine Kohorte, meist über einen längeren Zeitraum begleitet. Wenn ein Teil der Kohorte anfängt, Cannabis zu konsumieren, ein anderer nicht, lässt sich überprüfen, ob dies Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat.

Allerdings kommen auch diese Studien nicht zu eindeutigen Ergebnissen. So ließ sich aus einer Langzeitstudie beispielsweise ableiten, dass regelmäßiger Cannabiskonsum, der schon in der frühen Jugend beginnt, eine niedrigere Intelligenz im Erwachsenenalter zur Folge hat. Studien mit Zwillingen legten jedoch nahe, dass der Intelligenz-Unterschied nicht so sehr durch das Kiffen, sondern vielmehr durch genetische Unterschiede oder durch die Erziehung der Eltern bedingt sein könnte. Kiffen wäre dann nur eine Begleiterscheinung, nicht aber Ursache für Intelligenzunterschiede.

Schlechtere Chancen auf einen (guten) Bildungsabschluss

Ein Befund, der sich auch in Studien mit Zwillingen erhärtet hat, betrifft den Bildungsweg. Demzufolge beenden Cannabiskonsumierende die Schule häufiger ohne Abschluss oder haben schlechtere Noten als abstinente Jugendliche. Auch die Leistungen im Studium sind bei kiffenden jungen Erwachsenen häufig schlechter als bei abstinenten Studierenden, wie das Eingangs geschilderte Beispiel nahelegt.

Zwar können auch diese Studien nicht ausschließen, dass andere Probleme wichtiger sind und Kiffen vielleicht nur ein Ausdruck, nicht aber Ursache dieser Probleme ist. Jedoch ist nach Einschätzung von Hall und seinem Team unabhängig von dieser Frage klar, dass sich täglicher Cannabiskonsum unzweifelhaft ungünstig auf die Denkleistungen auswirkt. Nicht nur vertrage sich ein akuter Cannabisrausch nicht mit dem Lernen beispielsweise für die nächste Matheklausur oder dem Erstellen einer Seminararbeit. Die „Nachwehen“ des Rauschs könnten sich auch noch an den Folgetagen bemerkbar machen.

Gehirn erholt sich nach Ausstieg aus dem Konsum

Trotz der vielen nicht ganz eindeutigen Ergebnisse zu den Auswirkungen des Kiffens in der Jugend, gibt es laut Hall und seinem Team aber einen Befund, der in zahlreichen Studien gefunden wurde: Die geistige Leistungsfähigkeit erhole sich, wenn der Konsum dauerhaft eingestellt wird. Dies gelte auch für mitunter langjährig regelmäßig Konsumierende, was dafürspreche, dass Cannabiskonsum eben doch ein wichtiger Faktor ist, der einen schlechten Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit hat.

So konnte nachgewiesen werden, dass das Volumen des Hippocampus bei längerer Abstinenz von Cannabis wieder zunimmt. Auch scheint sich das Gedächtnis ebenso wie die Intelligenz zu erholen. Entscheidend sei, dass die Abstinenz von Dauer ist. Je länger die Abstinenz, desto stärker erhole sich das Gehirn.

Fazit

Das Jugendalter ist eine wichtige Phase für die Gehirnentwicklung. Studien legen nahe, dass sich Cannabiskonsum ungünstig auf die Reifung der Nerven und Nervenverbindungen auswirkt. Vor allem wenn Jugendliche regelmäßig kiffen, riskieren sie eine Minderung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit. So konnten Studien belegen, dass sich Cannabiskonsum ungünstig auf die Leistungen in der Schule oder im Studium auswirkt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass in Wirklichkeit andere Dinge wie die Gene oder der familiäre Hintergrund maßgeblich sind. Studien konnten aber auch nachweisen, dass sich die geistigen Fähigkeiten bei anhaltender Abstinenz verbessern. Der Ausstieg aus dem Cannabiskonsum lohnt sich somit in jedem Fall.

 

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