Hikikomori: Phänomen des sozialen Rückzugs steht mit Sucht in Zusammenhang

17.01.2024

Menschen mit einer Drogenabhängigkeit können von Hikikomori betroffen sein, einer extremen Form des sozialen Rückzugs, wie eine Studie aus den Niederlanden nahelegt.

Bild: Tunatura / iStock.com

Menschen brauchen andere Menschen. Für unser Wohlbefinden brauchen wir soziale Kontakte und ein Gefühl von Zugehörigkeit. Doch manche Menschen ziehen sich aus der sozialen Welt zurück. Im Extremfall verkriechen sie sich in ihren Wohnungen und meiden jeden Kontakt. In Japan wurde hierfür der Begriff Hikikomori geprägt, was in etwa „sich zurückziehen“ heißt.

Hikikomori gibt es auch in anderen Ländern. Der Rückzug in die eigenen vier Wände ist zudem ein Phänomen, das auch mit Drogenabhängigkeit in Verbindung gebracht wird. Ein Forschungsteam aus den Niederlanden hat den Zusammenhang zwischen Hikikomori und Drogenabhängigkeit näher untersucht.

Studienleiter Peter Muris und sein Team haben eine so genannte Fall-Kontroll-Studie durchgeführt. 31 Personen bildeten die Fallgruppe. Sie befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung in einer Drogenentzugsbehandlung. Eine Kontrollgruppe aus 34 nicht-drogenabhängigen Personen wurde so gewählt, dass sie in Hinblick auf das Alter und das Geschlecht mit der Fallgruppe vergleichbar war.

87 Prozent der Drogenkonsumierenden erfüllen Kriterien für Hikikomori

Beide Gruppen füllten Online-Fragebögen zu Hikikomori, zum Drogenkonsum und zum Wohlbefinden aus. Dabei zeigte sich ein deutlicher Gruppenunterschied: In der Fallgruppe der Drogenabhängigen waren Hikikomori-Symptome deutlich stärker ausgeprägt als in der Kontrollgruppe. 27 von 31 Personen oder 87 Prozent aus der Fallgruppe erfüllten den Schwellenwert, ab dem von Hikikomori gesprochen wird. In der Kontrollgruppe traf dies nur auf eine Person zu. Zudem zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Stärke der Abhängigkeit und der Schwere der Hikikomori-Symptomatik.

Dabei spielte es keine Rolle, ob die Drogen legal oder illegal sind. Die in den Niederlanden legalen Drogen Alkohol und Cannabis standen ebenso in Zusammenhang mit Hikikomori wie die illegalen und teils stimulierenden Drogen Kokain oder Speed. Die meisten Betroffenen betrieben ohnehin Drogenmischkonsum. Muris und sein Team weisen darauf hin, dass es nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie inzwischen eine Art Online-Service gibt, der jede Art von illegale Droge bis an die Haustür liefert, so dass Käuferinnen und Käufer nicht einmal die Wohnung verlassen müssen.

Auch das Wohlbefinden war in der Fallgruppe deutlich schlechter ausgeprägt als in der Kontrollgruppe. Da sich die Personen im Entzug von ihrer Drogenabhängigkeit befanden und von Entzugssymptomen betroffen sein können, ist dieser Umstand allerdings nicht ungewöhnlich.

Drogenkonsum und Hikikomori verstärken sich vermutlich gegenseitig

Stellt sich die Frage: Verursacht Drogenkonsum die Neigung zu Hikikomori oder ist es womöglich andersherum? Eine Fall-Kontroll-Studie könne diese Frage nach Aussagen des Forschungsteams zwar nicht beantworten, denkbar sei aber eine wechselseitige Beziehung. Einerseits sei der soziale Rückzug ein typisches Phänomen, wenn sich eine Abhängigkeit entwickelt. Die Vernachlässigung von sozialen Beziehungen gehört zu den Kriterien einer Abhängigkeitserkrankung.

Andererseits könnten Personen mit einem Hang zu Hikikomori auch dazu neigen, Drogen zu nehmen, um sich die Einsamkeit erträglicher zu gestalten. Die Forschenden vermuten, dass Drogenkonsumierende in eine Art Teufelskreis geraten, in dem sich der soziale Rückzug und Drogenkonsum gegenseitig verstärken.

Soziale Probleme bei Behandlung einer Drogenabhängigkeit berücksichtigen

Einschränkend muss erwähnt werden, dass es eine vergleichsweise kleine Stichprobe war und die Ergebnisse insofern nur vorläufig sind. Die Untersuchung habe nach Einschätzung von Muris und seinem Team aber verdeutlicht, dass Menschen mit einer Drogenabhängigkeit nicht nur lernen müssen, sich psychisch gegen den Suchtdruck, das so genannte Craving, zu wappnen.

Besonderes Augenmerk sollte in der Behandlung einer Drogenabhängigkeit auch darauf gelegt werden, Betroffene dabei zu unterstützen, aus ihrer sozialen Isolation herauszukommen und wieder Kontakt zu anderen Menschen zu knüpfen. Erste Anlaufstellen bei Suchtproblemen sind Suchtberatungsstellen vor Ort oder Online-Suchtberatung. Zum Thema Cannabis gibt es auch das Online-Programm Quit the Shit. Die Suchtberatung ist kostenlos und anonym nutzbar.

 

Quellen:

  1. Muris, P. van de Pasch, V., van Kessel, J. & Peet, J. (2023). The relationship between addiction and hikikomori tendencies: a case-control study. Front. Psychiatry, 14, 1273865. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2023.1273865
  2. Ludwig-Maximilians-Universität München (31.01.2022) „Hikikomori: Das leise Verschwinden“

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