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Kiffen macht vergesslich

Februar 2009

Viele kennen das: Man geht aus dem Haus, zieht die Tür hinter sich zu und stellt kurz darauf fest, dass der Schlüssel drinnen geblieben ist. Oder man merkt sich mal eben ein paar Dinge, die man einkaufen will und hat - im Supermarkt angekommen - dann doch einen Teil wieder vergessen. Diese kleinen Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsfehler treten bei vielen Menschen mehr oder weniger häufig im Alltag auf. Die Häufigkeit des Auftretens sagt aber auch etwas über die Leistungsfähigkeit des Gehirns aus. Cannabis kann die Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigen, wie aktuelle Studien zeigen. Nimmt das Gehirn auch Schaden beim Kiffen? Erholen sich die grauen Zellen nach dem Einstellen des Konsums?

Bild: Cello Armstrong / Fotolia.com

Unbestritten ist, dass im Cannabisrausch das Kurzzeitgedächtnis stark beeinträchtigt ist. Im bekifften Zustand vergessen Konsumierende mitunter, was sie vor fünf Minuten gesagt haben oder wissen mitten im Satz nicht mehr, was sie sagen wollten. Unter dem Einfluss von THC nimmt sich das Gedächtnis gewissermaßen eine Auszeit. Dieser Zustand kann von Konsumierenden durchaus als lustig wahrgenommen werden, solange das „High-sein“ anhält. In der naturgemäß eher humorlosen Wissenschaftlersprache wird dieser Zustand auch als „situationsinadäquates Witzeln“ bezeichnet, also Lachen ohne Grund - von außen betrachtet jedenfalls. Der Spaß hört aber auf, wenn das Gehirn sich auch nach Tagen noch nicht richtig erholt hat, weil der Konsum täglich stattfindet und der Denkapparat immer wieder durch THC ausgebremst wird.

Hirnleistung leidet bei Dauerkonsum

„Meine Gedächtnisleistung ging nach 20 Jahren kiffen gegen Null, und das war mir ultrapeinlich“, resümiert eine ehemalige Teilnehmerin von „quit the shit“. Dies war auch ein Grund für sie, das Kiffen deutlich zu reduzieren. So hat auch die Wissenschaft in den letzten Jahren Belege dafür erbringen können, dass Dauerkiffen auf das Gedächtnis schlägt.

Der griechische Forscher Lambros Messinis und sein Team vom Universitätskrankenhaus Patras beispielsweise haben die Hirnleistungen von Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten mit denen einer abstinenten Kontrollgruppe verglichen. Die Hälfte der Cannabisgruppe konsumierte schon seit über 10 Jahren viermal und mehr pro Woche, die andere Hälfte zwischen 5 und 10 Jahren bei vergleichbarer Intensität. Vor Versuchsbeginn mussten alle Personen allerdings eine 24-stündige Abstinenz einlegen, um die Ergebnisse nicht durch akute Cannabiseffekte zu verfälschen. Nach der Durchführung zahlreicher Standardtests zur Bestimmung der kognitiven Leistung stand fest: Beide Konsumentengruppen konnten sich neue Wörter weniger gut merken und waren beim Gedächtnisabruf langsamer als die Kontrollgruppe. Ebenso schnitten sie bei Tests zur Aufmerksamkeit und zur Reaktionsgeschwindigkeit schlechter ab als die abstinenten Versuchspersonen.

In einem Test zur Ermittlung der Entscheidungsfähigkeit erzielten jene Personen mit über 10-jährigem Dauerkonsum besonders schlechte Punktwerte: Ihre Ergebnisse lagen 70 Prozent unter der Norm. Die Ergebnisse der Konsumentinnen und Konsumenten mit einer Konsumerfahrung zwischen 5 und 10 Jahren lagen um 55 Prozent und die Ergebnisse der Kontrollgruppe lagen um 8 Prozent unterhalb des Normalwertes. Dr. Messinis fasst zusammen: „Je länger die Versuchsteilnehmenden Marihuana konsumierten, umso stärker waren ihre kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt, ganz besonders ihre Fähigkeit, neue Informationen zu erlernen“.

Auswirkungen auf den Alltag

Nun ließe sich einwenden, dass die unter Laborbedingungen ermittelten Ergebnisse womöglich kaum Bedeutung für den Alltag haben. Catherine Montgomery und John Fisk haben daher die Auswirkungen auf den Alltag in ihrer Untersuchung einbezogen. In der britischen Studie mussten die Probandinnen und Probanden neben den üblichen Hirnleistungstests auch spezielle Fragebögen ausfüllen, in denen sie Angaben zu ihrem Alltagsgedächtnis machen mussten. Darin ging es um die kleinen Ausfälle im Alltag, wie sie eingangs beschrieben wurden. Da es ja mit den Selbstangaben so eine Sache ist, wurden auch Freundinnen und Freunde sowie Angehörige gebeten einzuschätzen, wie oft den Testpersonen Fehlleistungen im Alltag unterlaufen.

Die Ergebnisse liefern ein zweigeteiltes Bild: Anders als in der oben beschriebenen griechischen Studie konnten bei den Hirnleistungstests im Labor keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Cannabiskonsumierenden und abstinenten Personen festgestellt werden. Der Cannabiskonsum habe demnach keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Anzumerken ist aber, dass die Konsumentinnen und Konsumenten der im griechischen Patras durchgeführten Studie eine wesentlich längere Konsumgeschichte aufwiesen.

In der britischen Untersuchung konnten hingegen deutliche Effekte auf den Alltag der Konsumierenden nachgewiesen werden: Die Personen der Cannabis-Gruppe gaben signifikant häufiger Fehlleistungen im Alltag zu. Die Selbsteinschätzungen deckten sich zudem mit den Aussagen von Freundinnen und Freunden sowie Angehörigen.

Das Autorenteam argumentiert in ihrer Studie, dass sich Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten unter Laborbedingungen zwar konzentrieren und durchaus gleiche Leistungen wie abstinente Personen abliefern können. Im echten Leben würden sie sich aber leichter ablenken lassen und demzufolge auch häufiger kleine Erinnerungsprobleme und andere Fehlleistungen zeigen als abstinente Personen. „Auch wenn Cannabiskonsumenten normale Leistungen im Labor gezeigt haben, bedeutet dies nicht, dass THC keinen Effekt auf die zugrundeliegenden neuronalen Strukturen hat“, schlussfolgert das Autorenteam in ihrer Studie.

Einbußen unter Belastung

Normalerweise sollen Versuchspersonen nüchtern und ausgeschlafen zu psychologischen Untersuchungen erscheinen. Um jedoch eine möglichst hohe Alltagsnähe zu erzielen, wurden die Probandinnen und Probanden einer Studie der Universität Cardiff nicht in ihrem Konsum eingeschränkt. Ziel der Studie war es, die Leistungsfähigkeit unter den Bedingungen einer normalen Arbeitswoche zu untersuchen. Emma Wadsworth und ihre Team haben ihren Versuchspersonen daher eine Woche lang sowohl vor als auch nach der Arbeit mit einer ganzen Batterie an psychologischen Tests auf den Zahn gefühlt. Am Anfang der Woche konnten beide Gruppen etwa gleich gute Ergebnis abliefern. Erst im Laufe der Arbeitswoche zeigten sich Unterschiede. Beispielsweise konnten sich die abstinenten Personen in komplexen Tests, bei denen es auf die Reaktionsgeschwindigkeit ankommt, kontinuierlich verbessern. Die Kifferinnen und Kiffer nicht. Bei den Tests zur Gedächtnisleistung wurden die Ergebnisse der Cannabisgruppe zudem von Tag zu Tag schlechter. Dies war besonders nach der Arbeit bemerkbar. Die Forscherinnen und Forscher kommen zu dem Schluss, dass kognitive Defizite, die eine Folge langjährigen Kiffens sein können, oft nicht so offensichtlich sind und sich erst unter Belastung zeigen, wenn die Personen sich müde fühlen.

Dauerhafte Hirnschäden?

Da Hirnleistungen eine Art Indikator für den Gesundheitszustand unseres Gehirns sind, liegt die Vermutung nahe, dass die graue Masse auch strukturell Schaden nimmt durch Dauerkonsum. In der Wissenschaft gibt es aber bislang noch keine Einigkeit darüber, ob es tatsächlich zu dauerhaften Hirnschäden mit anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen kommt. In einer Meta-Analyse kommen Igor Grant und sein Team nach Durchsicht zahlreicher Studien beispielsweise zu dem Ergebnis, dass sich auch bei langjährig Konsumierenden kaum Hinweise auf Defekte nach Abstinenz feststellen lassen. Nur ein äußerst kleiner Effekt beim Lernen neuer Informationen sei gefunden worden, resümieren die Forscherinnen und Forscher der Studie. In den meisten Expertisen auf diesem Gebiet formulieren die Forscherinnen und Forscher dennoch eher vorsichtig und schließen leichte, aber bleibende Beeinträchtigungen in den kognitiven Fähigkeiten nicht aus, auch wenn nachwievor unklar ist, wie lange diese tatsächlich anhalten.

Allerdings herrscht Einigkeit darin, dass die Einbußen der Hirnleistungen auch nach Jahren des Dauerkonsums wieder in Richtung Normalniveau tendieren, wenn der Konsum eingestellt wird. So konnten Harrison Pope und seine Team in einer umfangreichen Untersuchung auch bei Dauerkonsumierenden nach einer Abstinenzphase von 28 Tagen keine Defizite mehr in der kognitiven Leistungsfähigkeit feststellen.

Früher Einstieg besonders problematisch

Anders sieht die Situation aus, wenn der Cannabiskonsum schon in der Pubertät beginnt. Sowohl Tierexperimente als auch Studien an Menschen lassen darauf schließen, dass sich das entwickelnde Gehirn durch frühen Cannabiskonsum nachhaltig verändert. Beispielsweise haben Ian McGregor und sein Team festgestellt, dass sich bei Ratten, die in jungen Jahren THC verabreicht bekamen, Veränderungen in einer bestimmten Hirnregion, dem Hippocampus, feststellen ließen. Diese Region gilt als wichtige Schaltzentrale bei der Überführung von Lerninhalten in das Langzeitgedächtnis. Tatsächlich zeigten die Ratten schlechtere Gedächtnisleistungen als ältere Ratten, die ebenfalls zuvor mit THC behandelt wurden. Untersuchungen an Menschen haben auch zeigen können, dass sich bei Jugendlichen nach einem Monat Abstinenz noch leichte Defizite in der Aufmerksamkeit und dem Gedächtnis nachweisen lassen, während dies bei Erwachsenen nicht der Fall war.

Fazit

Dem bisherigen Forschungsstand zufolge leidet die Hirnleistungsfähigkeit mit zunehmender Dauer und Intensität des Konsums. Dies zeigt sich in erster Linie in der Lern- und Merkfähigkeit. Vor allem unter Stress macht sich das langjährige Kiffen negativ bemerkbar. Wer aber mit dem Kiffen aufhört, wird mit rasch sich verbessernden Hirnleistungen belohnt. Ob dabei noch kleine Beeinträchtigungen bleiben, die auf dauerhafte Hirnschädigungen zurückgehen, ist derzeit wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt. Für Konsumierende, die schon als Jugendliche unter 18 oder sogar unter 16 Jahren regelmäßig zum Joint greifen, gibt es hingegen überzeugende Belege, dass sie womöglich dauerhaft ihre Hirnstruktur schädigen. Besonders Personen in diesem Alter ist anzuraten, den Konsum einzustellen oder zumindest deutlich zu reduzieren.


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