Gehirn von Kokainabhängigen weniger stark gefaltet

19.04.2023

Das menschliche Gehirn ist voller Falten und Furchen. Das ist normal und eine wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unseres Denkapparats. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass das Gehirn von Personen mit einer Kokainabhängigkeit weniger stark gefaltet ist.

Bild: Luis Portugal / istockphoto.com

Die Großhirnrinde könne man sich vorstellen wie ein dickes Blatt Papier, erklärt der Hirnforscher Wieland Huttner in einem Interview. Damit es in den Schädel passt, muss es sich falten. Die Großhirnrinde gilt als wichtige Instanz für den Verstand und das Bewusstsein. In der Evolution ist die Großhirnrinde als Letztes entstanden und beim Menschen immer weiter gewachsen. So weit, dass sie nur noch gefaltet in den Schädel passt. Mehr Falten bedeutet: mehr geistige Leistung.

Wenn das Gehirn glatt bleibt, also keine Falten hat, ist das eine schwere Fehlbildung, die als „Lissenzenphalie“ bezeichnet wird. Betroffene Kinder leiden meist unter geistigen Entwicklungsstörungen. Aber auch bei Menschen ohne ernsthafte Erkrankungen können sich die Falten unterscheiden. Ein italienisches Forschungsteam hat die Faltungen der Großhirnrinde von Menschen mit und ohne Kokainabhängigkeit verglichen.

Je länger kokainabhängig, desto weniger Falten

Für ihre Studie hat das Forschungsteam auf Daten einer Studie aus Mexiko zurückgreifen können, in der die Gehirne von 88 Männern mit Hilfe der Magnetresonanztomografie „durchleuchtet“ wurden. Die Aufnahmen von 52 Männern mit Kokainabhängigkeit wurden verglichen mit den Hirnscans von 36 Männern, die kein Kokain konsumierten.

Das Hauptergebnis der Studie lautet: Teile der Großhirnrinde waren bei den Kokainabhängigen weniger stark gefaltet als in der Kontrollgruppe. Dieser Effekt war dosisabhängig. Das heißt: Je länger die Personen kokainabhängig waren, desto weniger komplex war die Faltung des Gehirns. Auch das Alter bei der Entstehung der Abhängigkeit spielte eine Rolle. Je jünger die Teilnehmenden waren, als sie abhängig wurden, desto weniger Furchen und Falten konnten gemessen werden.

Erklärt die geringere Faltung süchtiges Verhalten?

Die Faltung war vor allem in den Bereichen der Großhirnrinde schwächer ausgeprägt, die mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Eine der betroffenen Hirnregionen ist dafür zuständig, Impulse zu unterdrücken. Ein solcher Impuls könnte zum Beispiel sein, Kokain nehmen zu wollen. Dass dieser Bereich bei Kokainabhängigen weniger stark gefaltet ist, könnte erklären, warum es ihnen schwerer fällt, diesen Impuls zu unterdrücken. Ob dies tatsächlich der Grund ist, kann die Studie jedoch nicht beantworten.

Unklar bleibt auch, ob der Kokainkonsum verantwortlich dafür ist, dass die Großhirnrinde weniger stark gefaltet ist. Eine andere Erklärung wäre, dass die Großhirnrinde von Kokainabhängigen bereits vor dem Kokainkonsum anders gefaltet war. Dies könnte sie anfälliger für die Entwicklung einer Sucht machen. In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass die kokainabhängigen Männer weniger Bildungsjahre hatten.

Möglicherweise wechselseitige Beeinflussung von Kokainkonsum und Hirnveränderungen

Es gebe aber weitere Hinweise dafür, dass sich das Gehirn durch häufigen Drogenkonsum verändert, argumentieren die Forschenden. So haben frühere Studien gezeigt, dass durch den Konsum von Kokain Gene anders abgelesen werden, was die Struktur und Funktion des Gehirns verändern kann. Auch hätten Tierversuche Belege dafür geliefert, dass chronischer Kokainkonsum die Hirnstruktur verändert.

Die Forschenden favorisieren eine Theorie, der zufolge Hirnveränderungen und Kokainkonsum sich gegenseitig verstärken. Impulsive Person neigen demzufolge eher zum Kokainkonsum. Der Konsum fördert neurologische Veränderungen, die wiederum die Neigung zu impulsivem Verhalten verstärkt.

 

Quellen:

  1. Das Gehirn (1.1.2018) „Die Evolution des menschlichen Gehirns” https://www.dasgehirn.info/grundlagen/evolution/die-evolution-des-menschlichen-gehirns
  2. Fernàndez-Castillo, N., Cabana-Domínguez, J., Corominas, R., & Cormand, B. (2022). Molecular genetics of cocaine use disorders in humans. Molecular psychiatry, 27(1), 624-639. https://doi.org/10.1038/s41380-021-01256-1 
  3. Morris-Rosendahl, D. & Wolff, G. (2003). Klinik, Genetik und Pathogenese der Lissenzephalien. Dtsch Arztebl, 100(19), A-1269. https://www.aerzteblatt.de/archiv/36794/Klinik-Genetik-und-Pathogenese-der-Lissenzephalien
  4. Trevisan, N., Di Camillo, F., Ghiotto, N., Cattarinussi, G., Sala, M., & Sambataro, F. (2023). The complexity of cortical folding is reduced in chronic cocaine users. Addiction Biology, 28(3), e13268. https://doi.org/10.1111/adb.13268

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