Topthema

Ecstasy - Gift fürs Gehirn?

Juni 2011

 

Das Gehirn ist schon eine prima Sache. Ein biotechnologisches Wunderwerk der Evolution. Da hat der Mensch eigentlich alles was er zum Denken, Fühlen, Handeln und so weiter braucht. Doch dem einen oder der anderen reicht der Auslieferungszustand ab Werk nicht aus. Tuning muss her. Schließlich gibt es diverse chemische Muntermacher, die sich an den wichtigen Schaltstellen des Gehirns, den Synapsen, einfach mal vordrängeln, um das Gaspedal noch weiter durch zu treten. Ecstasy ist so ein cerebraler Aufputscher, quasi das Superplus unter den Stimmungsaufhellern. Macht wach und happy und das meist ohne lästige Halluzinationen und Paranoia. Doch bleibt das neuronale Doping wirklich ohne Folgen?

Papierschnipsel mit Drogennamen beschriftet, Ecstasy im Vordergrund

Bild: Empato / iStockphoto.com

Seit den 1980er Jahren konzentrieren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Erforschung möglicher neurotoxischer Schäden durch Ecstasy. So wurde bereits 1986 in einer tierexperimentellen Studie nachgewiesen, dass MDMA zu einer Entleerung der so genannten präsynptischen Vesikel führt, eine Art Behälter in den Nervenendigungen, in denen Serotonin lagert. Diese Entleerung, so vermutete man, könne dauerhaft zu Veränderungen im Nervensystem führen.

Dauerhafte Schäden nach einmaligem Ecstasy-Konsum?

George Ricaurte von der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, war es schließlich gelungen, bei Affen dauerhafte Schäden an den serotonergen Nerven zu belegen, wenn diese zuvor Ecstasy in hohen Dosen verabreicht bekamen. Ricaurte war es allerdings auch der nach einer weiteren Studie im Jahr 2002 etwas vorschnell dramatische Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Science publizierte. In der Studie bekamen zehn Affen drei Mal im Abstand von drei Stunden Ecstasy verabreicht, was in etwa der typischen Drogeneinnahme von Partygängern entsprechen sollte. Die Wirkung war jedoch heftiger als erwartet. Zwei Affen starben bereits vor Ablauf des Experiments. Die anderen Affen wiesen später erhebliche Hirnschäden auf, was das Forschungsteam umgehend zum Anlass nahm, vor den dramatischen Folgen des einmaligen Konsums zu warnen.

Doch Ricaurte und sein Team waren einem Irrtum aufgesessen. Die Begründung lieferten sie selbst in einem Widerruf, den sie ein Jahr später veröffentlichten. Sie hatten gar kein Ecstasy in der Studie verwendet. Aufgrund eines Beschriftungsfehlers enthielten die Behälter Methamphetamin, das auch als „Crystal“ oder „Ice“ bekannt ist. Bei einer derart hohen Dosis, wie sie im Experiment gespritzt wurde, wären die Folgen für die Primaten zu erwarten gewesen, schreibt das Autorenteam in seinem Widerruf.

Mischkonsum - nicht nur ein methodisches Problem

Doch die Erforschung von Ecstasy kreist weiterhin überwiegend um die Frage, wie hoch das so genannte neurotoxische Potential von MDMA ist, sprich: Wie giftig ist Ecstasy für das Gehirn? Ein Kernproblem der wissenschaftlichen Untersuchung ist jedoch untrennbar mit dem Objekt der Forschung verbunden: der Mischkonsum. Will man etwaige Folgen auf den Konsum von Ecstasy zurückführen, so müssen andere Substanzen, die ebenfalls neurotoxisch wirken könnten, ausgeschlossen werden. Doch das ist fast unmöglich. Denn Untersuchungen konnten zeigen, dass der alleinige Konsum von Ecstasy die große Ausnahme ist und Alkohol sowie andere Drogen sehr häufig zusätzlich konsumiert werden. Das allerdings ist nicht nur für die Forschung ein Problem. Vor allem Konsumentinnen und Konsumenten gehen unkalkulierbare Risiken dabei ein, wenn sie Drogen miteinander kombinieren. Beispielsweise konnte in einer Studie belegt werden, dass der Mischkonsum von Ecstasy und Alkohol möglicherweise stärker die Leber schädigt, als Ecstasy oder Alkohol alleine.

Meta-Studie zu Ecstasy schafft Klarheit

Anfang 2009 wurde die derzeit vermutlich umfangreichste Meta-Studie zu den Auswirkungen des Ecstasykonsums veröffentlicht. Meta-Studien fassen viele Einzelstudien zusammen und sind deshalb in ihrer Aussagekraft wesentlich zuverlässiger als einzelne Publikationen. Gabriel Rogers und sein Team haben praktisch alle in Englisch veröffentlichten Studien zum Thema Ecstasy gesichtet und getreu dem Motto „die Guten ins Töpfen, die Schlechten ins Kröpfchen“ nur die Forschungsarbeiten in ihrer Analyse berücksichtigt, die nach wissenschaftlich soliden Kriterien gearbeitet haben. Von über 4.000 Studien, die das Thema Ecstasy bearbeitet haben, wurden nur 422 als methodisch ausreichend zuverlässig bewertet und analysiert.

Genau genommen hat nur eine einzige Studie den Kriterien der höchsten Güteklasse standgehalten. Lediglich in der Langzeitstudie Netherlands XTC Toxicity (NeXT) wurden nicht nur Extasy-Konsumierende, sondern auch Personen einbezogen, die zum ersten Untersuchungszeitpunkt noch kein Ecstasy konsumiert hatten, aber eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Einstieg in den Konsum aufwiesen, beispielsweise weil ein Freund oder eine Freundin Ecstasy konsumiert. Ein Teil dieser Personen ist schließlich tatsächlich in den Konsum von Ecstasy eingestiegen. Somit konnten die Ergebnisse vor und nach dem Konsum verglichen werden.

Nachweislich neurotoxische Wirkung

In ihrer zusammenfassenden Bewertung aller untersuchten Studien kommt das Autorenteam zu der Schlussfolgerung, dass sich ein durchweg einheitliches Bild hinsichtlich neurotoxischer Effekte bei Ecstasy ergibt. Die meisten Studien würden die gleiche Tendenz bei den Effekten von Ecstasy aufweisen, und zwar in Richtung Neurotoxizität, so auch in der NeXT-Studie. Ecstasy könne demnach nachweislich Hirnzellen schädigen. Personen, die in den Konsum eingestiegen sind, haben ein Jahr nach der Ersterhebung signifikant schlechtere Leistungen insbesondere bei Tests zum verbalen Gedächtnis abgeliefert, als diejenigen, die abstinent geblieben sind. Allerdings sei das Ausmaß des neurotoxischen Potentials von Extasy eher gering, betonen Rogers und sein Team. Die Unterschiede zwischen den Konsumierenden und den vergleichbaren abstinenten Personen seien klein und würden noch innerhalb des Bereichs liegen, der als normal betrachtet wird. Die Autorinnen und Autoren bezweifeln zudem, ob die eher geringen Effekte von Ecstasy tatsächlich Auswirkungen auf den Alltag der Konsumierenden haben.

In einem Übersichtsartikel kommen die bekannte Ecstasy-Forscherin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank und ihr Kollege Jörg Daumann 2009 zu ähnlichen Einschätzungen. Zwar gebe es durchaus noch methodische Probleme bei den Studien, doch die Ergebnisse weisen alle in die gleiche Richtung: Ecstasy wirke demnach selektiv neurotoxisch auf serotonerge Axone. Das bedeutet, dass Ecstasy in erster Linie die Nervenzellen schädigt, die Serotonin als Botenstoff haben - und zwar an den Nervenendigungen, die als Axone bezeichnet werden. Axone stellen besonders viele Kontaktpunkte zu anderen Nervenzellen her. Eine Schädigung verhindert somit die Kommunikation mit anderen Nervenzellen.

Diese Einschätzung wird durch eine aktuelle japanische Studie zum Thema Extasy unterstützt. Das Team um Studienleiter Asuka Kaizaki hat an Zellkulturen zeigen können, dass Ecstasy das Wachstum von Axonen unterdrückt. Dies könne vor allem in der Reifungsphase des Gehirns, die bis ins frühe Erwachsenenalter andauert, zu langfristigen Konsequenzen führen. Denn die Hirnreifung beruht im Wesentlichen auf der Bildung eines effizienten Netzes aus miteinander verbundenen Nerven. Wird dieser Prozess gehemmt, könnte es dauerhafte negative Folgen für die kognitive Leistungsfähigkeit haben.

Lerndefizite auch bei moderatem Konsum

Prof. Gouzoulis-Mayfrank und Dr. Daumann

Prof. Gouzoulis-Mayfrank und Dr. Daumann im drugcom-Interview

Im drugcom-Interview hat das Forschungsteam um Professorin Gouzoulis-Mayfrank Einblicke in eine aktuelle Studie gegeben, die demnächst veröffentlicht werden soll. Das Kölner Forschungsteam hat eine ähnliche Vorgehensweise wie in der NeXT-Studie gewählt, d. h. sie haben eine Gruppe von Personen über einen längeren Zeitraum beobachtet. Die Probandinnen und Probanden hatten zu Beginn der Studie ihre ersten Erfahrungen mit Ecstasy gemacht, die sie im Laufe der zweijährigen Studiendauer fortgesetzt haben. Nach Angaben des Forschungsteams konnten sie bereits bei einer vergleichsweise moderaten Konsumhäufigkeit von etwa 15-20 Pillen pro Jahr signifikante Lerndefizite in den Nachuntersuchungen feststellen. So haben sich die Ergebnisse der Ecstasygruppe in kognitiven Leistungstests verschlechtert, wohingegen sich die Personen der nicht-konsumierenden Kontrollgruppe verbesserten. Letzteres sei als normal zu bezeichnen, da es bei Testwiederholungen in der Regel zu Trainingseffekten kommt - bei normaler Lernfähigkeit wohlgemerkt.

Berichte, die auf eine Schädigung durch lediglich eine Ecstasypille hinweisen, würden ihre Ergebnisse jedoch nicht unterstützen. „Wir gehen davon aus, dass einmaliger Ecstasykonsum nicht zu neurotoxischen Störungen führt, dafür gibt es jedenfalls keine Belege“, sagt Jörg Daumann im drugcom-Interview. Vielmehr weisen die Daten auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hin. Das bedeutet, je mehr jemand Ecstasy konsumierte, desto stärker ist mit kognitiven Einbußen zu rechnen. Bei nur einer Pille sie eine nachhaltige Schädigung eher unwahrscheinlich.

Kleinere Hirnstruktur durch Ecstasy?

Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren ist man den Folgen des Ecstasykonsum in jüngster Zeit weiter auf die Spur gekommen. In einer im Januar veröffentlichten Studie konnten Jörg Daumann und sein Team von der Universität Köln auf der Grundlage der Magnetresonanztomographie und speziellen Vermessungsmethoden herausfinden, dass bei Personen mit mehr als 100 Ecstasypillen oder 50 Gramm Amphetamin Konsumerfahrung die so genannte graue Substanz in bestimmten Hirnbereichen abgenommen hat. Als graue Substanz werden die Bereiche des Gehirns bezeichnet, die überwiegend aus Nervenzellkörpern bestehen. Sie erscheinen äußerlich betrachtet grau. Gebiete, die vor allem aus Nervenfasern bestehen, erscheinen weiß und werden entsprechend als weiße Substanz bezeichnet.

Ein niederländisches Forschungsteam um Bjønar den Hollander vom Academic Medical Center in Amsterdam konnte ebenfalls kleinere Hirnstrukturen bei Ecstasykonsumierenden nachweisen. Das Team untersuchte die Gehirne von 10 Ecstasyerfahrenen, die mindestens 50 Pillen in ihrem Leben eingeschmissen hatten. Zur Kontrolle wurden sieben vergleichbare Personen herangezogen. In dieser Studie lag der Fokus auf eine bestimmte Hirnregion, dem Hippocampus, der für das Lernen bekanntermaßen eine wichtige Rolle spielt.

Das Forschungsteam bezeichnet ihre Ergebnisse selbst als „vorläufig“, da es sich nur um eine kleine Stichprobe handelt, doch sollte diese sich in weiteren Studien bestätigen, dürften sie als äußerst bedenklich eingestuft werden: Denn nach Volumenmessung mit Hilfe der Magnetresonanztomographie konnte bei den Ecstasykonsumierenden ein um 11 Prozent geringeres Hippocampus-Volumen festgestellt werden. Der Rest des Gehirns wies hingegen keine Auffälligkeit auf. Nicht das gesamte Gehirn, sondern nur ein bestimmter Bereich ist geschrumpft, eben die Region, die eine elementare Funktion beim Lernen spielt. Diese Ergebnisse würden nach Meinung des Forschungsteams ein deutlicher Hinweis auf ein neurotoxisches Potential von Ecstasy sein.

Fazit

Ist nun also alles geklärt? Diese Frage kann wohl zum derzeitigen Zeitpunkt nur mit „jein“ beantwortet werden. Zwar dürfte die Frage der Neurotoxiziät wohl kaum noch infrage gestellt werden, doch was das Ausmaß und die konkrete Bedeutung für die kognitive Leistungsfähigkeit betrifft, ist die Studienlage nachwievor nicht eindeutig. So konnten die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Karen Hanson und Monica Luciana zwar ebenfalls schlechtere Gedächtnisleistungen bei Ecstasykonsumierenden feststellen, nach statistischer Analyse, in der auch die Konsumerfahrung mit anderen Drogen einging, zeigte sich jedoch, dass Ecstasy keinen signifikanten Zusammenhang mit den schlechteren Leistungen aufwies. Hingegen ergaben sich für den Cannabiskonsum signifikante Lerndefizite.

Der Mischkonsum unter Ecstasykonsumierenden steht dem eindeutigen Nachweise verminderter Hirnleistungen, die ausschließlich durch Ecstasy verursacht werden, weiterhin im Wege. Die methodisch bislang besten Studien deuten zwar daraufhin, dass Ecstasy durchaus zu kognitiven Defiziten führt, diese sind aber eher im subklinischen Bereich angesiedelt.

Allerdings sollte sich jeder Konsument und jede Konsumentin fragen, ob er oder sie bereit ist, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Als sicher gilt, wer Mischkonsum mit Ecstasy betreibt wird umso stärkere Einbußen haben, je mehr konsumiert wird.

Quellen:

  • Daumann, J., Koester, P., Becker, B., Wagner, D., Imperati, D. (2011). Medial prefrontal gray matter volume reductions in users of amphetamine-type stimulants revealed by combined tract-based spatial statistics and voxel-based morphometry. NeuroImage, 54, 794-801. Zusammenfassung
  • Den Hollander, B., Schouw, M., Groot, P., Huisman, H., Caan, M., Barkhof, F. & Reneman, L. (2011). Preliminary evidence of hippocampal damage in chronic users of ecstasy. J Neurosurg Psychiatry, doi:10.1136/jnnp.2010.228387. Zusammenfassung
  • Gouzoulis-Mayfrank & Daumann (2009). Neurotoxicity of drugs of abuse - the case of methylendioxyamphetamines (MDMA, ecstasy), and amphetamines. Dialogues in Clinical Neuroscience, 11, 305-317. Artikel
  • Hanson, K. & Luciana, M. (2010). Neurocognitive imparirments in MDMA and other drug users: MDMA alone may not be a cognitive risk factor. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 32 (4), 337-349. Zusammenfassung
  • Kaizaki, A., Tanaka, S., Tsujikawa, K., Numazawa, S. & Yoshida, T. (2010). Recreational drugs, 3,4-Methylenedioxymethamphetamine(MDMA), 3,4-methylenedioxyamphetamine (MDA) and diphenylprolinol, inhibit neurite outgrowth in PC12 cells. J Toxicol Sci, 35 (3), 375-381. Artikel
  • Ricaurte, G., Martello, A., Katz, J. & Martello, M. (1992). Lasting Effects on (±)-3,4-Methylenedioxymethamphetamine (MDMA) on Central Serotonergic Neurons in Nonhuman Primates: Neurochemical Observations. The Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics, 261 (2), 616-622. Zusammenfassung
  • Rogers, G., Elston, J., Garside, R., Roome, C., Taylor, R., Younger, P., Zawada, A. & Somerville, M. (2009). The harmful health effects of recreational ecstasy: a systematic review of observational evidence. Health Technology Assessment, 13 (6). 1-338. Studie
  • Schmidt, C., Wu, L. & Lovenberg, W. (1986). Methylenedioxymethamphetamine: A potentially neurotoxic amphetamine analogue. European Journal of Pharmacology, 124, 175-178.

 


Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.