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Kokain - kein Schnee von gestern

Dezember 2010

 

Allen wirtschaftlichen Krisen zum Trotz, der Konsum von Kokain („Koks“)  bleibt in Europa stabil, mit ansteigender Tendenz. Nach Angaben des kürzlich veröffentlichten Jahresberichts der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA haben rund 14 Millionen Erwachsene schon einmal Kokain konsumiert, 4 Millionen auch in den vergangenen 12 Monaten. Doch das weiße Pulver ist weder eine sichere noch eine saubere Droge. Analysen der letzten Jahre verdeutlichen, dass der Reinhaltsgehalt von Kokain bei durchschnittlich nur 36 Prozent liegt. Zucker und Stärke sind noch die harmloseren Verschnittstoffe. Aktuellen Berichten zufolge wird Kokain vermehrt mit dem Medikament Levamisol gestreckt, ein Mittel aus der Tiermedizin, das gegen Parasiten eingesetzt wird. Es kann schwere Nebenwirkungen verursachen.

Nahaufnahme einer geschlossenen Schneedecke

Bild: Alla17 / iStockphoto.com

62 Euro pro Gramm, das ist nicht etwa der aktuelle Goldpreis. Der liegt trotz einer Hochphase bei läppischen 33 Euro pro Gramm, bei schwankendem Tagespreis. Nein, so viel kostet auf der Straße gehandeltes Kokain im Durchschnitt. Ein Gramm Marihuana ist im Vergleich dazu schon für mickrige 8 Euro zu haben. Kokain umgibt daher wohl nicht zuletzt wegen seines Preises den Hauch der Exklusivität. Dennoch zeichnet sich europaweit eine ansteigende Tendenz in der Verbreitung des Kokainkonsums ab, allerdings mit starken regionalen Unterschieden. Die stärkste Verbreitung findet man im Vereinigten Königreich, gefolgt von Spanien. 6,2 Prozent aller 15- bis 34-jährigen Britinnen und Briten haben in den letzten 12 Monaten mindestens einmal gekokst. In Spanien trifft dies auf 5,5 Prozent der Bevölkerung im Altersbereich 15-34 Jahre zu. Deutschland liegt mit 1,6 Prozent noch unter dem europäischen Mittelwert von 2,3 Prozent.

Flüsse voll Kokain

Generell ist es mit der Ermittlung von Verbreitungszahlen bei Kokain aber so eine Sache. Denn es ist fraglich, ob Umfragen zuverlässige Ergebnisse erzielen, wenn es um die illegale Droge Kokain geht. Zumindest geben Analyseergebnisse von Kokainrückständen in deutschen Flüssen Anlass zu Zweifel. 2005 konnte ein Team um Professor Fritz Sörgel vom Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) Spuren von Benzoylecgonin in Flüssen nachweisen. Benzoylecgonin entsteht nur im menschlichen Körper durch die Verstoffwechselung von Kokain. Es wird über den Urin ausgeschieden und gelangt so ins Abwasser. Aufgrund der Menge des gefundenen Abbauprodukts im Bereich von Kläranlagen schlussfolgert Sörgel, dass die wahre Verbreitung von Kokain wohl eher dreimal so hoch ist.

Erfinderische Schmuggelmethoden

In dieses Bild passt auch die gestiegene Menge konfiszierten Kokains. Für besonderes Aufsehen hat in diesem Jahr ein Fall in Hamburg gesorgt. 1,33 Tonnen in Holzbrickets eingearbeites Kokain wurde am 12. April im Hafen der Hansestadt sichergestellt. Bereits im Vorjahr stieg die Menge sichergestellten Kokains von 1,01 Tonnen im Jahr 2008 auf 1,71 Tonnen, eine Steigerung um rund 60 Prozent. Allerdings ist anzumerken ist, dass die Mengen an beschlagnahmten Kokain kein sicheres Indiz für die Nachfragesituation ist. Zudem kann niemand mit Gewissheit sagen, wie viel Koks tatsächlich den Weg nach Deutschland findet und welcher Anteil davon von den deutschen Behörden entdeckt wird.

Bekannt ist aber, dass Kokain nach Cannabis die weltweit am häufigsten gehandelte illegale Droge ist. Der Coca-Strauch, aus dessen Blättern durch einen chemischen Prozess Kokainhydrochlorid gewonnen wird, wächst allerdings nicht in unseren nordischen Breitengraden, sondern überwiegend in Südamerika. Für den Transport der heißen Ware bis nach Europa lassen sich die Kokain-Hersteller einiges einfallen. So wird Kokain in unterschiedliche Trägermaterialien eingebracht, wie zum Beispiel Bienenwachs, Düngemittel, Kleidung, Pflanzen und diversen Flüssigkeiten. In Europa wird die Gemengelage dann in so genannten Sekundärextraktionlabors wieder getrennt. Wird Kokain beispielsweise in Kunststoff gebunden, extrahieren Labors in Europa die Substanz wieder durch einen chemischen Umkehrprozess. Die meisten Sekundärextraktionslabors wurden bislang in Spanien entdeckt, allein in 2008 waren es 30.

Gefährliche Verschnittstoffe

In den europäischen Labors wird Kokain aber nicht nur vom Trägermaterial getrennt, sondern auch verschnitten, um das Gewicht und damit die Gewinnspanne zu erhöhen. Bei den hohen Preisen offenbar ein lohnendes Geschäft. 2009 lag der Wirkstoffgehalt von Kokain aus dem Großhandel bei 67 Prozent. Bis das Kokain beim Kleindealer den Besitzer wechselt, ist es aber noch durch mehrere Hände gegangen, die den Stoff ebenfalls verschneiden. Für Straßen-Kokain ermittelte das Bundeskriminalamt 2009 einen Wirkstoffgehalt von nur noch 34 Prozent. Der Durchschnitt der letzten 10 Jahre liegt nur unwesentlich höher bei 36 Prozent.

Um das Volumen zu erhöhen kommen bei Kokain unter anderem vergleichsweise harmlose Verdünnungsmittel wie Zucker oder Stärke zum Einsatz. Allerdings werden dem Kokain oft auch pharmakologisch wirksame Streckmittel hinzugefügt, um die Wirkung der verdünnten Droge zu steigern oder um die Wirkung nachzuahmen. In einem aktuellen wissenschaftlichen Review hat ein britisches Forschungsteam um Claire Cole von der John Moores Universität in Liverpool die verfügbaren Analyseergebnisse zusammengetragen. Neben Zucker und dem Stimulanzium Koffein fanden sich am häufigsten die Medikamente Lidocain und Phenacetin.

Lidocain ist ein lokales Betäubungsmittel. Beim Sniefen von Kokain kann Lidocain das Taubheitsgefühl in der Nase imitieren. Denn Kokain wirkt ebenfalls lokal, weshalb es Ende des 19. Jahrhunderts als Mittel zur örtlichen Betäubung eingesetzt wurde. Phenacetin ist ein Schmerzmittel, das aufgrund seiner starken Nebenwirkungen inzwischen in vielen Ländern verboten ist. Es kann schwere Nierenschäden verursachen und gilt als krebserregend.

Seit 2004 wird aufgrund von Analysen auch die Verwendung von Levamisol gemeldet, ein Mittel, das in der Tiermedizin gegen Parasiten Anwendung findet. Wird Levamisol über einen längeren Zeitraum eingenommen, kann es zu schweren Nebenwirkungen wie der Agranulozytose kommen. Dabei handelt es sich um eine lebensgefährliche Bluterkrankung, bei der die Granulozyten zerstört werden. Granulozyten - eine Unterart der Leukozyten - sind für das Immunsystem des Körpers wichtig. Werden sie zerstört, können sich in der Folge bakterielle oder virale Infektionen rapide ausbreiten und so zum Tod führen.

Todesfälle durch Kokainkonsum gestiegen

Auf eine generelle europaweite Zunahme des Kokainkonsums deutet auch die gestiegene Anzahl an gemeldeten Todesfällen aufgrund von Kokain hin. 2008 wurden etwa 1.000 Todesfälle in Europa verzeichnet. Aufgrund einer mangelnden Datenlage kann zwar keine gesamteuropäische Tendenz festgestellt werden, in den beiden Länder mit der höchsten Verbreitung des Kokainkonsums - Spanien und das Vereinigte Königreich - wurden jedoch deutliche Steigerungen festgestellt.

Allerdings ist davon auszugehen, dass die „wahre“ Anzahl an Todesfällen infolge des Konsums von Kokain höher liegt. Denn das Auftreten von Todesfällen in Zusammenhang mit Kokainkonsum ist ein komplexeres Phänomen als tödliche Überdosierungen durch Opioide wie Heroin. Die meisten Todesfälle unter Kokainkonsumierenden sind auf Herzkreislauferkrankungen und Schlaganfällen zurückzuführen. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Dosierung oder die Häufigkeit des Konsums an, da diese Erkrankungen auch bei geringen Mengen oder bei Gelegenheitskonsumenten auftreten können. Dies betrifft vor allem Menschen mit Vorerkrankungen im Bereich des Herzens oder der Gefäße. Meistens treten Todesfälle nach Kokainkonsum jedoch bei chronischem Konsum auf, wobei der zusätzliche Konsum von Alkohol und Tabak den tödlichen Verlauf der Erkrankungen weiter verschärft haben kann.

Das Bewusstsein über die gravierenden körperlichen Risiken des Kokainkonsums scheint aber noch zu wenig ausgeprägt zu sein. „Es gibt immer noch zu viele Europäer, die den Kokainkonsum als relativ harmloses Attribut eines erfolgreichen Lebensstils ansehen“, meint dazu Wolfgang Götz, Direktor der EMCDDA. „Jedoch zeigt sich mehr und mehr, dass der steigende Kokainkonsum auch zunehmende Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hat. Wir müssen ganz klar die Botschaft vermitteln, dass der Konsum dieser Droge nicht nur schnell eskalieren, sondern auch tödlich sein kann, selbst wenn sie nur gelegentlich und in niedrigen Dosen konsumiert wird.“

Fazit

Wer Kokain auf der Straße kauft, erwirbt in der Regel ein Mischung aus verschiedenen pharmakologisch wirksamen Substanzen. Außer Kokain nehmen Konsumierende somit meist ein Gemisch aus Schmerz- und Betäubungsmitteln ein, die in höheren Dosierungen oder bei einer längeren Einnahme schwere Nebenwirkungen verursachen können. Anders als manche es vielleicht vermuten, finden sich hingegen keine Hinweise darauf, dass Kokain systematisch mit billigeren illegalen Stimulanzien wie Amphetamin gestreckt wird. Nicht zuletzt aufgrund der Streckmittel ist der Konsum von Kokain mit einer Reihe an gesundheitlichen Risiken verbunden, die auch für Gelegenheitskonsumentinnen und -konsumenten tödlich sein können.

Quellen:

  • EMCDDA (2010). Jahresbericht 2010. Stand der Drogenproblematik in Europa. Lissabon: EMCDDA. (PDF)
  • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I., Flöter, S., Karachaliou, K., Lieb, C. & Raiser, P. (2010). Bericht 2010 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD. Deutschland. Neue Entwicklungen, Trends und Hintergrundinformationen zu Schwerpunktthemen. München: Institut für Therapieforschung. (PDF)
  • Cole, C., Jones, L., McVeigh, J., Kicman, A., Syed, Q. & Bellis, M. (2010). A Guide to Adulterants, Bulking agents and other Contaminations found in illicit drugs. Liverpool: Centre for Public Health, Liverpool John Moores University.
  • Hähnchen, A. & Gastpar, M. (1999). Kokain. In M. Gastpar, K. Mann, H. Rommelspacher (Hrsg.), Lehrbuch der Suchterkrankungen (S. 263-275). Stuttgart: Thieme.
  • Fuchs, W., Haen, E. & Seifert, R. (2009). Agranulozytose: Ungeklärte Nebenwirkung mit tödlicher Konsequenz. Pharmazeutische Zeitung (Heft 13).
  • Pressemitteilung EMCDDA (10.11.2010)

 


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