Bildschirmzeit steht in Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung Jugendlicher

27.10.2021

Bildgebende Verfahren legen nahe, dass die Vernetzung bestimmter Hirnareale weniger stark ausgeprägt ist, je länger die tägliche Bildschirmzeit Jugendlicher ist.

Bild: amenic181 / istockphoto.com

Jugendliche wachsen in einer zunehmend digitalisierten Welt auf. YouTube, Instagram & Co. liefern einen scheinbar unendlichen Strom an neuen Erfahrungen. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie eine aktuelle wissenschaftliche Übersichtsarbeit nahelegt. Studienleiterin Laura Marciano und ihr Team haben Studien zusammengetragen, in denen untersucht wurde, ob und wie die Bildschirmzeit Einfluss nimmt auf die Gehirnentwicklung.

Für viele Menschen sind digitale Medien wie das Smartphone kaum noch aus dem Alltag weg zu denken. Jugendliche sind dem Sog der Onlinewelt jedoch noch stärker ausgesetzt als Erwachsene. Ihr Gehirn befindet sich in der Entwicklung und die Suche nach neuen Erfahrungen ist dem jugendlichen Gehirn gewissermaßen einprogrammiert.

Belohnungssystem reift früher als kontrollierende Instanzen

Denn im Gehirn Jugendlicher finden entscheidende Umbaumaßnahmen statt. Bereiche des Gehirns, die als Belohnungssystem bezeichnet werden, reifen schon früh in der Pubertät. Areale, die für planerisches Handeln und die Kontrolle von impulsivem Verhalten zuständig sind, bilden sich hingegen erst im frühen Erwachsenenalter vollständig aus. Diese asynchrone Entwicklung ist vermutlich verantwortlich für die Risikobereitschaft Jugendlicher und ihrem gesteigerten Bedürfnis nach neuen Erfahrungen.

Für die Entwicklung der Selbstständigkeit und zur Abgrenzung gegenüber den eigenen Eltern ist das sogenannte „Sensation Seeking“ durchaus sinnvoll. Die Suche nach neuen Erfahrungen kann beim Medienkonsum aber auch zu exzessiven Verhaltensmustern führen, wie sie bei der Internetsucht oder der Videospielsucht auftreten. Denn das Internet und besonders die sozialen Netzwerke liefern beständig Neues und damit immer wieder kleine „Belohnungen“.

Seit einigen Jahren befasst sich die Wissenschaft mit den Auswirkungen des Medienkonsums auf das Gehirn Jugendlicher. Marciano und ihr Team haben diese Studien systematisch gesichtet und ausgewertet. 16 Studien wurden einbezogen. Darin kamen verschiedene Verfahren der Magnetresonanztomographie zum Einsatz, mit der die Vernetzung in den Gehirnen junger Menschen vermessen wurde.

Geringere Vernetzung zwischen Hirnarealen bei hoher Bildschirmzeit

Wichtigstes Ergebnis der Studie: Je länger die tägliche Bildschirmzeit ist, desto ineffektiver arbeiten die Bereiche im jugendlichen Gehirn, die für die Kontrolle des Verhaltens zuständig sind. Bildgebende Verfahren zeigen einen geringeren Vernetzungsgrad dieser Areale mit dem Belohnungssystem auf.

Deutlich wurde auch, dass Online-Aktivitäten eine starke Belohnungswirkung im Gehirn erzeugen und dieser Effekt die Grundlage für die Entwicklung süchtiger Verhaltensmuster bildet, die auf kurzfristige Belohnungen in schneller Abfolge abzielen. Noch sei nicht abzuschätzen, was Ursache und was Wirkung ist. Denkbar sei aber, dass eine lange Bildschirmzeit jene neuronalen Netzwerke fördert, die für impulsives Verhalten zuständig sind und dies gewissermaßen auf Kosten der Vernetzung mit den kontrollierenden Instanzen geht.

Die enorme Attraktivität von Onlineaktivitäten erschwere es Jugendlichen, sich anschließend anderen Dingen zuzuwenden, die mehr langfristiges, planerisches Handeln notwendig machen, erklären die Forscherinnen. Zudem entwickle sich eine Art Teufelskreis, weil die langen Bildschirmzeiten auch mit längerer körperlicher Inaktivität verbunden seien, die auf Dauer das Wohlbefinden beeinträchtigen. Medienkonsum werde dann wiederum häufig zur Bewältigung unangenehmer Gefühle benutzt.

 

Quelle:

Marciano, L., Camerini, A.-L. & Morese, R. (2021). The Developing Brain in the Digital Era: A Scoping Review of Structural and Functional Correlates of Screen Time in Adolescence. Frontiers of Psychology, 12, 671817. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2021.671817/full


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