Wie Cannabis die Gehirnentwicklung beeinflusst

06.01.2021

Vorsicht Baustelle! Das Gehirn Jugendlicher befindet sich im Umbau. Wie Cannabis diesen Prozess womöglich nachhaltig stören kann, erläutert ein aktueller Fachartikel.

Bild: David-W- / photocase.de

Ein junger Erwachsener erscheint in der Beratungsstelle. Das Job-Center hat ihn wegen seines Cannabiskonsums geschickt, nachdem er seine Ausbildung abgebrochen hat. Der Mann scheint von den Anforderungen überfordert zu sein. Er macht einen etwas gleichgültigen Eindruck, wirkt unkonzentriert und sein Gedächtnis erscheint lückenhaft. Schon mit 15 habe er angefangen zu kiffen.

Stefan Dhein von der Universität Leipzig beginnt seinen Fachartikel mit einem Fall, wie er häufig in Suchtberatungsstellen auftreten würde. Welchen Anteil Cannabis daran hat, dass junge Menschen den an sie gestellten Leistungsanforderungen nicht gerecht werden, lässt sich zwar nicht genau bestimmen. Tatsache ist aber, dass manche von ihnen schon als Jugendliche regelmäßig kiffen.

Eine Reihe von Studien legt nahe, dass vor allem regelmäßiges Kiffen einen schädlichen Einfluss auf die geistige Entwicklung Jugendlicher haben kann. Dies hat Folgen für ihre Leistungen in der Schule, in der Ausbildung, im Studium oder im Beruf.

Abnahme der grauen, Zunahme der weißen Substanz

In seinem Übersichtsartikel erläutert Dhein, warum der Cannabiswirkstoff THC bei Jugendlichen anders wirkt als bei Erwachsenen. Demnach befindet sich das Gehirn Jugendlicher in einer wichtigen Entwicklungsphase. Die Gehirnentwicklung sei erst mit etwa 25 Jahren weitestgehend abgeschlossen. Nicht nur in der Kindheit, auch im Jugendalter fänden umfangreiche Umbaumaßnahmen statt. Die graue Substanz im Gehirn wird gezielt reduziert. Als graue Substanz werden die Nervenzellkörper bezeichnet. Im Vergleich zu Neugeborenen haben Erwachsene nach Aussagen Dheins etwa 41 Prozent weniger Nervenzellen.

Gleichzeitig nimmt die weiße Substanz zu. Diese besteht aus Bündeln gut isolierter Nervenfasern, die eine Art Datenautobahn zwischen den Hirnarealen bilden. Während der Gehirnentwicklung werden somit überflüssige Nervenzellen abgebaut und neue Verbindungen aufgebaut. Ziel dieses Prozesses ist es, die Effizienz des Denkapparats zu erhöhen.

Komplexes Zusammenspiel zwischen THC und Nervenwachstum

Nicht alle Regionen im Gehirn entwickeln sich in der gleichen Geschwindigkeit. Wie auf einer Wanderbaustelle reifen verschiedene Areale erst nach und nach. Geistige Leistungen wie die Impulskontrolle, strategisches Planen oder das soziale Verhalten würden sich erst in der späten Jugend entwickeln.

Studien zufolge spielen dabei Nervenwachstumsfaktoren eine Rolle. Die Abkürzung lautet NGF. Sie leitet sich vom englischen Begriff nerve growth factor ab. NGF stehe laut Dhein auch in Wechselwirkung mit dem Endocannabinoid-System, das ebenfalls an der Reifung des Gehirns beteiligt ist. Daraus ergebe sich ein komplexes Zusammenspiel, in das der Cannabiswirkstoff THC ungünstig eingreifen könnte. So gibt es Studien, die niedrigere NGF-Konzentrationen im Blut bei regelmäßigem Cannabiskonsum nachweisen konnten.

Dhein warnt, dass chronischer Cannabiskonsum zu Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung führen könne und Konsumierende in einem „pubertätsähnlichen Zustand“ verharren. Gleichzeitig merkt er an, dass nicht jeder kiffende Jugendliche in der gleichen Weise betroffen sei und vermutlich noch andere Faktoren wie die Gene oder Erfahrungen aus der Kindheit eine Rolle spielen.

 

Quelle:

Dhein, S. (2020). Different Effects of Cannabis Abuse on Adolescent and Adult Brain. Pharmacology, 105(11-12), 09-617.


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