Alltagsgedächtnis doch nicht durch Cannabis beeinträchtigt?

17.08.2012

Das Gedächtnis ist nicht nur in der nächsten Mathearbeit von praktischer Bedeutung, auch für Verabredungen und andere Aufgaben, die wir in der Zukunft erledigen wollen, brauchen wir die Speicherfähigkeit unserer grauen Zellen. Cannabiskonsum steht allerdings im Verdacht, schlecht für das Alltagsgedächtnis zu sein. Ein Forschungsteam hat zwei neue Studien hierzu vorgelegt - mit scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen.

Frau steht vor Tafel mit vielen Fragenzeichen darauf und schaut fragend nach oben

Bild: fotosipsak / iStockphoto.com

Unser Alltagsgedächtnis, mit dem wir uns zukünftige Aufgaben merken, wird in der Forschung auch als prospektives Gedächtnis bezeichnet. Das prospektive Gedächtnis beinhaltet genau genommen zwei Komponenten: Wenn man sich beispielsweise merken will, Paul eine ausgeliehene CD zurückzugeben, wenn er das nächste Mal zu Besuch ist, muss man sich zum gegebenen Zeitpunkt einerseits erinnern, dass man ihm etwas zurückgeben will. Das ist die prospektive Komponente. Zum anderen muss man rekapitulieren können, was man ihm überreichen wollte, in diesem Falle eine bestimmte CD. Dies wird als retrospektive Komponente bezeichnet.

In vielen Studien wurde das retrospektive Gedächtnis von Cannabiskonsumierenden bereits untersucht, beispielsweise wie gut sie sich auswendig gelernte Wortlisten merken können. Hier zeigte sich, dass Dauerkiffer ein wenig schlechter abschneiden als abstinente Personen. Etwas dünner sieht die Forschungslage zum prospektiven Gedächtnis aus. Wie das Beispiel mit Paul verdeutlich, wird gerade diese Gedächtnisfunktion sehr häufig im Alltag benötigt.

Zwei Studien

Die US-Forscherin Carrie Cuttler hat mit ihren Kollegen Ryan McLaughlin und Peter Graf gleich zwei Studien durchgeführt, um das prospektive Gedächtnis bei Cannabiskonsumierenden zu untersuchen. Das Team führte zunächst eine Onlinebefragung unter rund 800 Studierenden durch. Darin sollten sich die Befragten selbst einschätzen, wie gut sie sich Dinge merken können, die sie erledigen müssen bzw. wie oft ihnen Fehlleistungen im Alltag unterlaufen. In einer zweiten Studie mussten drei Gruppen zu jeweils 48 Personen ihre Leistungsfähigkeit in einem Testlabor unter Beweis stellen. Teilgenommen haben abstinente Personen, Cannabiskonsumierende mit wenig Konsumerfahrung und Dauerkiffer, die mindestens dreimal pro Woche konsumieren.

Unerwartetes Ergebnis

Die Auswertung der Onlinebefragung ergab zunächst, dass Studierende mit Cannabiskonsum signifikant häufiger Probleme mit dem Alltagsgedächtnis haben. Allerdings war der statistische Effekt eher klein, und es gab auch keinen Zusammenhang mit der Konsummenge. Kiffen hatte also nur einen geringfügigen Einfluss auf das Alltagsgedächtnis.

Die Selbsteinschätzungen aus der Onlinebefragung passten aber nicht so recht zu den Ergebnissen aus dem Testlabor. Nicht ein einziger Test zum prospektiven Gedächtnis ergab einen signifikanten Unterschied zwischen Cannabiskonsumierenden und abstinenten Personen.

Zudem stehen die Ergebnisse von Cuttler und ihrem Team scheinbar in einem Widerspruch zu früheren Studien wie beispielsweise der von Janice Bartholomew. Bartholomew und ihr Team hatten in Tests nachweisen können, dass Cannabiskonsumierende schlechter abschneiden als altersgleiche abstinente Personen, wenn es um das Alltagsgedächtnis geht.

Retrospektive Komponente vermutlich verantwortlich für Defizite

Cuttler und ihr Team vermuten, dass die wahren Probleme bei Cannabiskonsumierenden nicht im prospektiven, sondern im retrospektiven Gedächtnis liegen, das für das Abspeichern zuständig ist. Wie oben beschrieben benötigt das Erinnern zu einem bestimmten Zeitpunkt eine retrospektive Komponente. Cannabiskonsumierende würden also kein Problem damit haben, sich zu gegebener Zeit daran zu erinnern, eine Aufgabe zu erledigen (prospektive Komponente). Allerdings hätten sie Schwierigkeiten sich ins Gedächtnis zu rufen, was zu tun ist (retrospektive Komponente). In den von Cuttler verwendeten Tests habe die retrospektive Gedächtniskomponente jedoch so gut wie keine Rolle gespielt. Daher habe man keinen Effekt gefunden.

Denkbar sei auch, argumentieren Cuttler und ihr Team, dass die signifikanten Effekte aus der Onlinebefragung in Wirklichkeit auf Defizite des retrospektiven Gedächtnisses zurückzuführen sind. Will heißen: Die befragten Kiffer haben sich unwissentlich schlechter dargestellt, weil sie sich nicht mehr so gut an die Details aus ihrem Alltag erinnern konnten.

Letztlich bleibt festzuhalten, dass der Einfluss von Cannabis auf das Alltagsgedächtnis nicht so eindeutig zu sein scheint, wie es frühere Studien nahegelegt haben. Klarheit wird vermutlich erst eine Meta-Analyse liefern, die zu diesem Thema jedoch noch aussteht.

Quelle:
Cuttler, C., McLaughlin, R. & Graf. P. (2012). Mechanisms Underlying the Link between Cannabis Use and Prospective Memory. PlosOne, 7 (5), e36820.


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