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Cannabiskonsum erhöht Risiko für selbstschädigendes Verhalten

August 2021

Junge Menschen mit psychischen Problemen sind gefährdet für selbstschädigendes Verhalten. Studien zufolge könnte Cannabiskonsum einen Anteil daran haben.

Bild: Bild: KatarzynaBialasiewicz / istockphoto.com

„Mich machte es psychisch krank, ich bekam schlimme Gedanken und mir ging es einfach gar nicht mehr gut. Ich lebte in meiner eigenen Welt und schaute zu, wie das Leben an mir vorbeiflog. Ich konnte nicht mehr lachen, geschweige denn Freude oder andere Gefühle fühlen.“ Ein 21-jähriger Teilnehmer von Quit the Shit, nennen wir ihn Lukas, hat in einem Erfahrungsbericht seinen psychischen Zustand beschrieben, in dem er sich vor Beginn des Beratungsprogramms befand. Zwar habe er schon Probleme gehabt, bevor er anfing, regelmäßig Cannabis zu konsumieren. Doch habe ihn das Dauerkiffen nur noch weiter runtergezogen.

Nicht alle Cannabiskonsumierende werden depressiv wie Lukas. Doch mit zunehmendem Konsum steigt das Risiko. Und wenn die Hoffnungslosigkeit immer stärker um sich greift, können noch andere „schlimme Gedanken“ hinzukommen. Manchmal beschäftigen sich Betroffene damit, sich selbst Schaden zuzufügen. Das können Gedanken oder Handlungen sein, die darauf abzielen, den eigenen Tod herbeizuführen. Der Fachbegriff lautet Suizidalität.

Die Wissenschaft befasst sich seit Längerem mit der Frage, ob Cannabiskonsum mit Suizidalität in Zusammenhang steht. Studien legen nahe, dass sich insbesondere starker Cannabiskonsum generell ungünstig auf die psychische Gesundheit auswirken könnte. So konnte in einer Studie mit regionalen Daten aus den USA nachgewiesen werden, dass Depressionen, Suizidgedanken und andere psychische Erkrankungen dort zunehmen, wo mehr gekifft wird.

Psychische Erkrankungen sind jedoch selbst ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit. Menschen mit psychischen Problemen nutzen Cannabis, um sich Entlastung zu verschaffen und ihre Sorgen zumindest für eine Weile zu vergessen. Sowohl die akute Wirkung als auch der Dauerkonsum von Cannabis stehen jedoch im Verdacht, die Wahrscheinlichkeit für suizidale Gedanken und Handlungen zu erhöhen. Steigt mit dem Kiffen womöglich das Risiko für Suizidalität?

Erhöhtes Risiko für suizidale Gedanken unter jungen Erwachsenen

Ein kanadisches Forschungsteam ist dieser Frage auf der Grundlage repräsentativer Befragungen der US-amerikanischen Bevölkerung nachgegangen. Jährlich werden in den USA etwa 5.000 Menschen zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Themen befragt. Studienleiter Karim Ladha und sein Team haben Befragungsdaten aus den Jahren 2005 bis 2018 herangezogen. Von rund 22.000 Personen im Alter zwischen 20- und 59 Jahren lagen Informationen zum Cannabiskonsum und zum Depressionsrisiko sowie zur Suizidalität vor.

Die Forscher verglichen Personen, die im Monat vor der Befragung Cannabis konsumiert hatten, mit Menschen, bei denen kein aktueller Konsum vorlag. In einer weiteren Analyse haben sie auch die Konsumintensität einbezogen. Im Ergebnis kommen Ladha und sein Team zu der Feststellung: Es gibt einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum, Depressionen und suizidalen Gedanken. Am stärksten betroffen waren Personen mit intensivem Cannabiskonsum.

Bei genauerer Betrachtung und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, die Einfluss nehmen können auf die Suizidalität, schien dieser Zusammenhang vor allem für Frauen und für die Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen zu gelten. Allerdings sei ihre Studie nicht geeignet, um Aussagen darüber zu treffen, ob Cannabiskonsum auch ursächlich zur Suizidalität beiträgt, erklären die Forscher. So sei denkbar, dass letztlich Depressionen maßgeblich sind. Cannabiskonsum wäre dann nur eine Begleiterscheinung. Ist Cannabiskonsum womöglich gar nicht so entscheidend, wenn eine Person unter Depressionen leidet?

Mehr selbstschädigendes Verhalten bei Cannabiskonsum

Studienleiterin Cynthia Fontanella und ihr Team haben diese Frage in einer Kohortenstudie mit jungen Menschen im Alter zwischen 10 und 24 Jahren untersucht. Das Team hat die Daten von jungen Patientinnen und Patienten ausgewertet, die im US-Bundesstaat Ohio zwischen 2010 und 2017 mindestens zweimal wegen Gemütserkrankungen wie Depressionen in medizinischer Behandlung waren. Fontanella und ihr Team haben die Analyse somit auf junge Menschen beschränkt, von denen bekannt ist, dass sie psychische Probleme haben. Bei 10 Prozent von ihnen wurde zusätzlich eine Cannabisabhängigkeit diagnostiziert.

Insgesamt sind Daten von über 200.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die Studie eingeflossen. Die Auswertungen dieser vergleichsweise großen Stichprobe haben aufgezeigt, dass von den jungen Menschen, die unter einer Gemütsstörung leiden, jene mit einer Cannabisabhängigkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit zu nicht-tödlichem selbstverletzenden Verhalten neigen. Das können unterschiedliche Formen von Selbstverletzungen sein wie Schneiden, Ritzen oder Verbrennen. Eine frühere Studie hat ebenfalls zeigen können, dass cannabiskonsumierende Jugendliche sich mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst Verletzungen zufügen.

Suizide waren in der US-Studie zwar ebenfalls vergleichsweise häufig unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Jedoch legten die Analysen den Schluss nahe, dass andere Faktoren wie der soziale Hintergrund und weitere Erkrankungen maßgeblich das Suizidrisiko beeinflussen. Ob eine Cannabisabhängigkeit vorlag oder nicht, schien keinen großen Unterschied mehr zu machen. Anzumerken ist jedoch, dass die meisten der untersuchten jungen Menschen vermutlich unter schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind. Etwa neun von zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Studie waren von Armut betroffen.

So weisen Ergebnisse einer anderen Übersichtsstudie aus dem Jahre 2019 sehr wohl auf einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Suizidalität hin. In der Meta-Analyse wurden elf Einzelstudien zusammengefasst. Diese enthielten die Daten von über 23.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Im Ergebnis kam das Forschungsteam unter der Leitung von Gabriella Gobbi zu dem Schluss, dass Cannabiskonsum nicht nur das Risiko für Depressionen erhöht. Auch war die Wahrscheinlichkeit für suizidale Gedanken und Suizidversuche höher, wenn schon in jungen Jahren gekifft wurde.

Cannabis möglicherweise nur ein Faktor bei der Entstehung von Depressionen und selbstschädigendem Verhalten

Wie genau Cannabis das Risiko für Depressionen und selbstschädigendem Verhalten fördert, darüber können Forscherinnen und Forscher jedoch nur spekulieren. Nach Einschätzung des Forschungsteams um Cynthia Fontanella könnte selbstschädigendes Verhalten eine Folge von impulsivem Verhalten sein, das sich infolge von Cannabiskonsum und dem dadurch eingeschränkten Urteilsvermögen seinen Weg bahnt. Auch müsse davon ausgegangen werden, dass eine Cannabisabhängigkeit psychische Leiden eher verschlimmert und die Wahrscheinlichkeit einer Genesung reduziert.

Gabriella Gobbi und ihrem Team weisen darauf hin, dass sich Cannabis möglicherweise ungünstig auf die Gehirnentwicklung auswirken könnte und damit auch auf bestimmte Hirnbotenstoffe, die bei Depressionen eine Rolle spielen. Letztlich müsse davon ausgegangen werden, dass viele Faktoren bei der Entstehung von Depressionen und selbstschädigendem Verhalten beteiligt sind und Cannabis vermutlich nur ein Faktor ist.

Wie auch immer der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum, psychischen Erkrankungen und Suizidalität sein mag, eine Reduzierung oder auch der Ausstieg aus dem Cannabiskonsum dürfte sehr wahrscheinlich zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit beitragen. Beispielsweise konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass depressive Symptome bei Frauen um so stärker abnahmen, je mehr sie ihren Cannabiskonsum reduzierten. Auch Lukas berichtet davon, dass ihm eine starke Einschränkung des Konsums und die Hilfe anderer geholfen haben: „Durch meinen Konsum fiel ich in ein großes Loch, doch nun reichten Quit-the-Shit und einzelne Freunde mir eine Leiter, und nun klettere ich wieder aus meinem Loch.“

Fazit

Cannabiskonsum steht seit Längerem im Verdacht, die psychische Gesundheit zu belasten und bei der Entstehung von Depressionen einen Beitrag zu leisten. Manche der Betroffenen entwickeln Gedanken daran, sich selbst Schaden zuzufügen. Studien zufolge ist nicht auszuschließen, dass vor allem starker Cannabiskonsum einen Anteil daran hat, wenn junge Menschen zu selbstschädigendem Verhalten neigen. Vermutlich beeinflussen sich psychische Probleme und Cannabiskonsum gegenseitig und erhöhen in der Folge auch das Risiko für selbstschädigendes Verhalten.

Bei Notlagen oder seelischen Problemen ist es daher ratsam, sich möglichst frühzeitig einem anderen Menschen anzuvertrauen oder professionelle Hilfe beispielsweise bei einer Ärztin oder einem Arzt in Anspruch zu nehmen. Depressionen sind Erkrankungen, die mit modernden Methoden behandelt werden können und dadurch helfen, die Lebensqualität Betroffener entscheidend zu verbessern. In akuten Notlagen gibt es auch folgende Beratungsmöglichkeiten:

  • Das Kinder- und Jugendtelefon vom Verein „Nummer gegen Kummer e. V.“ steht unter der 116 111 montags bis samstags von 14-20 Uhr kostenlos zur Verfügung.
  • Die Telefon-Seelsorge ist rund um die Uhr kostenlos unter der 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 erreichbar.
  • Darüber hinaus kann auch die Online-Beratung von drugcom.de werktags zwischen 15-17 Uhr bei persönlichen Fragen und Problemen genutzt werden.

 

Quellen:

  • Diep, C., Bhat, V., Wijeysundera, D. N., Clarke, H. A. & Ladha, K. S. (2021). The Association between Recent Cannabis Use and Suicidal Ideation in Adults: A Population-based Analysis of the NHANES from 2005 to 2018. The Canadian Journal of Psychiatry. https://doi.org/10.1177%2F0706743721996112
  • Fontanella, C. A., Steelesmith, D. L., Brock, G., Bridge, J. A., Campo, J. V. & Fristad, M. A. (2021). Association of Cannabis Use With Self-harm and Mortality Risk Among Youths With Mood Disorders. JAMA Pediatrics, 175(4), 377–384. doi:10.1001/jamapediatrics.2020.5494.
  • Gobbi, G., Atkin, T., Zyntynski, T., Wang, S., Askari, S., Boruff, J., Ware, M., Marmorstein, N., Cipriani, A., Dendukuri, N. & Mayo, N. (2019). Association of Cannabis Use in Adolescence and Risk of Depression, Anxiety, and Suicidality in Young Adulthood: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry, 76(4), 426-434. doi:10.1001/jamapsychiatry.2018.4500.
  • Neurologen und Psychiater im Netz > Therapiekonzept und Behandlungsphasen bei Depression
  • Ohio State University Wexner Medical Center Pressemitteilung (19.1.2021)
  • Reece, A. S. & Hulse, G. H. (2020). Co-occurrence across time and space of drug- and cannabinoid- exposure and adverse mental health outcomes in the National Survey of Drug Use and Health: combined geotemporospatial and causal inference analysis. BMC Public Health, 20, 1655.

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